Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges befindet sich ein Namensschild. In ordentlicher Handschrift steht darauf: B. Elliott . Im Gegensatz zu den anderen Patientinnen, die hier bloß ab und zu wegen Verhaltensauffälligkeiten sind, ist Brenna anscheinend dauerhaft an diesem einsamen Ort untergebracht.
Ich blicke durch das kleine Fenster unter Brennas Namen. In der Dunkelheit ist sie schwer auszumachen, aber schließlich entdecke ich in einer Ecke eine zusammengekauerte Person. Bis auf eine Matratze und ein paar Decken, die durcheinander auf dem Boden liegen, scheint der kleine Raum leer zu sein. Sogar das Fenster ist zugemauert.
Agito , denke ich, und das Riegelschloss öffnet sich.
Beim Geräusch des übereinandergleitenden Metalls springt Brenna auf. Angespannt bereite ich mich darauf vor, sie mit einem Zauber ruhigstellen zu müssen. Aber als ich die Tür aufstoße und hineinschlüpfe, starrt mich Brenna im flackernden Licht meiner Kerze mit ihren unheimlichen blauen Augen einfach nur an.
»Brenna, ich bin’s. Cate Cahill. Ich komme dich besuchen.«
»Du siehst aus wie eine der Krähen«, sagt Brenna und drückt sich gegen die weiche Wand. Ihre weiße Bluse ist schief zugeknöpft, und ihre Füße unter dem kratzig aussehenden braunen Rock sind nackt. »Haben sie dich geschickt, um mich wieder zu brechen?«
»Nein. Nein, das war …« Wie soll ich ihr bloß erklären, dass ihr Gedächtnis versehentlich zerstört wurde? »Es tut mir leid, dass du gebrochen wurdest, Brenna. Ich wünschte, ich könnte dir helfen.«
»Kannst du nicht. Mir kann niemand mehr helfen. Sie werden mich umbringen.« Die verknoteten kastanienbraunen Haare fallen ihr wie ein Vorhang vors Gesicht, als Brenna beginnt, sich hin und her zu wiegen und leise die Totenklage anzustimmen. »Es ist ganz schön seltsam, das eigene Schicksal zu kennen, Cate.« Sie kichert.
»Ähm, ja.« Ich flüstere, obwohl uns wahrscheinlich sowieso niemand hören kann. »Brenna … Weißt du, ob alles, was du siehst, in Erfüllung geht? Immer?«
Brenna nickt. »Oh ja. Aber ich kann nichts dafür. Das weißt du doch.« Sie kommt auf mich zu und greift nach meinem Umhang. In dem einen Monat, den sie jetzt hier ist, ist sie noch dünner geworden, als sie ohnehin schon war. Sie sieht halb verhungert aus, und sie hat einen blauen Fleck auf der Wange. »Das weißt du doch, oder? Bitte, sag, dass du es weißt. Ich habe es versucht. Ich habe es bei Jack versucht und bei Großvater, aber niemand glaubt mir. Niemand hört mir jemals zu.«
»Ich weiß.« Als ich nach ihrer Schulter fasse, zuckt sie zusammen und erschreckt uns beide damit. Ich widerstehe dem Drang zurückzuweichen. Brenna ist bloß ein trauriges, gebrochenes Mädchen. Ich hole tief Luft, um mich auf das Schlimmste vorzubereiten. »Hast du etwas über meine Zukunft gesehen?«
»Ah, deswegen bist du also hier.« Brenna vergräbt den Kopf in ihren knochigen Händen. Dann sieht sich mich durch die Finger hindurch an. »Ja, habe ich.«
»Erzählst du es mir? Ich würde es gerne hören.«
Doch Brenna schüttelt den Kopf, und ihr wirres Haar peitscht mir ins Gesicht. »Nein, ich glaube, das willst du nicht.«
Ich schlucke schwer. »Bitte.«
»Frag die Kleine unten. Sie weiß Bescheid«, sagt Brenna. »Sie will es ändern.«
Meine Beine sind auf einmal weich wie Gummi. Weiß Brenna etwa, dass Tess die Seherin ist? Kann sie Tess irgendwie spüren?
»Was meinst du damit?«, frage ich.
»Die andere. Die kleine Seherin.« Brenna runzelt die Stirn und kämmt sich mit den Fingern durch die verhedderten Haare. »Ich will nicht, dass sie sie kriegen. Ich verstehe nicht … warum ist sie hier? Sie dürfen sie nicht kriegen. Wenn sie über sie Bescheid wüssten, würden sie sie hierbehalten und sie dazu bringen, all ihre Geheimnisse zu verraten. Ich bin einsam, aber nicht so einsam, dass ich mir das für die Kleine wünschen würde.«
»Du darfst es ihnen nicht sagen, Brenna. Sie dürfen es nicht erfahren.«
»Nein. Von mir werden sie es nicht erfahren. Ich verschließe es in mir und werfe den Schlüssel fort.« Brenna kichert, tut so, als würde sie einen Schlüssel vor ihrem Mund drehen und ihn sich über die Schulter werfen.
Es ist nicht gerade beruhigend, die eigenen Geheimnisse bei einer Verrückten zu wissen.
»Ich will auch nicht, dass sie dich hierbehalten. Was hältst du davon … Was hältst du davon, wenn ich dich hier wegbringe?«, flüstere ich, als ich mich ihr wieder nähere. »Wenn ich
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