Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
gellendes Lachen. »Sie braucht mich. Ich wusste, dass es so kommen würde, als ich die Krankenschwestern tratschen hörte.«
Ich weiß nicht, was ich erwartet habe – dass wir uns weinend um den Hals fallen, dass sie lügt und sagt, wie sehr ich meiner Mutter ähnle? –, aber nicht dies.
»Verdammt sei sie, meine Erinnerung an Anna zu missbrauchen, um an mich heranzukommen«, sagt Zara. Offenbar glaubt sie inzwischen, dass ich diejenige bin, für die ich mich ausgebe. Sie öffnet das Goldmedaillon. Darin ist eine Fotografie meiner Mutter, als sie jung war.
»Oh.« Auf einmal habe ich einen Kloß im Hals. Es ist schon einen Monat her, seit ich das Gesicht meiner Mutter auf einer Fotografie gesehen habe; ich habe keine Bilder mit ins Kloster genommen. Mit ihren Locken und dem herzförmigen Gesicht sieht sie wirklich aus wie Maura.
»Ich liebte sie wie eine Schwester«, sagt Zara traurig. Dann schreckt sie zusammen, als wäre sie von einer Wespe gestochen worden. »Sind deine Schwestern … beide noch am Leben?«
»Natürlich. Sie sind gerade auf dem Weg nach New London. Schwester Cora hielt es für das Beste – das Sicherste –, wenn wir alle drei im Kloster sind«, erkläre ich und setze mich auf das Bett.
»Hältst du das für klug?« Zara scheint jetzt etwas wacher zu sein. »Im Hinblick auf die Prophezeiung?«
»Die Prophezeiung stimmt nicht«, sage ich mit ausdrucksloser Stimme und verschränke die Arme.
Als Zara lächelt, wird ihr langes, kantiges Gesicht weicher. »Du bist eine Kämpferin, nicht wahr, Cate Cahill? Sogar als kleines Kind warst du schon leicht reizbar. Guter Gott, du warst so ein Dreckspatz, bist immer deinem Nachbarn hinterhergejagt.« Ich runzle die Stirn. Paul ist nicht länger mein. »Ständig hattest du zerschrammte Knie, weil du so viel auf Bäumen rumgeklettert bist. Anna hatte immer Angst, dass du dir eines Tages noch das Genick brechen würdest.«
»Das habe ich zum Glück nicht.«
Zara dreht den Stuhl zu mir herum. Weil der Raum so eng ist, berühren sich jetzt unsere Knie. »Sie werden dich hängen. Oder vielleicht verbrennen sie dich auch bei lebendigem Leib«, sagt sie und wirft einen Blick auf die Tür. Mein Lächeln verblasst. »Falls du die neue Seherin bist. Es gab bisher zwei seit dem großen Tempelbrand. Sie haben sie hier festgehalten und gefoltert, damit sie ihnen ihre Prophezeiungen verraten. So werden sie es auch mit Brenna machen. Aber dich … dich werden sie nicht am Leben lassen.«
Ich versuche, mich von ihren Worten nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, aber ohne Erfolg. »Weil ich eine Hexe bin?«
»Es hat noch nie eine Seherin mit magischen Fähigkeiten gegeben. Noch dazu in Gedankenmagie.« Zara springt auf und läuft zur Tür, um durch das Guckloch zu spähen, dann setzt sie sich wieder und fragt mich mit leiser, kratziger Stimme: »Bist du es? Hat Cora dich deswegen zu mir geschickt?«
»Ich weiß es nicht. Ich hatte noch keine Vorhersehungen. Ich hatte gehofft, dass du mir vielleicht sagen könntest, was mich erwartet. Was ist mit den anderen beiden Seherinnen passiert?«
Zara kaut nachdenklich an einem Fingernagel. Ihre Nägel sind alle bis aufs Bett abgebissen, die Fingerkuppen kaputt und blutig. »Ich würde dir gerne helfen. Anna zuliebe. Aber du bist jetzt eine von ihnen, und ich kann ihnen leider nicht verzeihen, was sie getan haben. Nicht nur mir, auch wenn das schon schlimm genug wäre. Kannst du dir vorstellen, wie viele Mädchen durch diese Türen kommen? Wie viele Mädchen hier geschlagen oder als Spielzeug der Brüder missbraucht werden? Und wenn sie sterben – und das tun viele, sie hören einfach auf zu essen und beschließen zu sterben –, wenn sie sterben, bekommen sie noch nicht einmal eine ordentliche Beerdigung. Auf der anderen Seite des Hügels ist ein Gemeinschaftsgrab. Das ist alles, was uns erwartet. Und Cora lässt es einfach geschehen.«
Ich erneuere das Versprechen, dass ich mir vorhin gegeben habe: Ich werde diese Mädchen retten.
Ich weiß nur nicht, wie oder wann. »Sie kann nicht alle retten«, sage ich leise.
Zara sieht mich zornig an, ihre dünnen Nasenflügel beben. »Hat sie das gesagt? Mich hätte sie retten können!«
Sie starrt einen Moment aus dem Fenster. Der Schneeregen hat sich in Schnee verwandelt, der Hang ist inzwischen weiß gepudert. In der Ferne ist der rote Speicher eines angrenzenden Bauernhofs zu sehen und dahinter ein weißer Kirchturm. »Ich bin böse auf Cora, aber ich bin nicht so dumm,
Weitere Kostenlose Bücher