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Tödlich ist die Nacht

Tödlich ist die Nacht

Titel: Tödlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hoag
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sie den Cops gegeben hatte. Er war ein Risikofaktor, den man nicht einfach ignorieren konnte.
    Falls das Karma war, dann war Karma beschissen.
    Er würde nicht warten, um das herauszufinden. Jace hatte nie in seinem Leben das Gefühl gehabt, Opfer zu sein. Seine Mutter hatte das nicht zugelassen, nicht bei Jace, nicht bei sich selbst. Manchmal passierte eben irgendein Scheiß, aber er kam damit klar, machte weiter, bewegte sich vorwärts. Mit dieser Situation musste er genauso umgehen. Das war immer der Ausweg, sich vorwärts zu bewegen.
    Manchmal passierte eben irgendein Scheiß. Und er steckte bis zum Hals drin. Ihm blieb nichts anderes übrig, als anzufangen zu schwimmen.

9
    Jace humpelte langsam auf Socken die Treppe von seiner Wohnung hinunter, seine Schuhe hatte er an den Schnürsenkeln zusammengebunden und über die Schulter gehängt. Er hatte alles in allem vielleicht anderthalb Stunden geschlafen. Als er gegen vier endlich wieder weggedämmert war, war Tyler zu ihm auf den Futon gekrabbelt und hatte geflüstert, er fürchte sich. Jace sagte ihm, dass alles in Ordnung sei und er wieder ins Bett gehen sollte.
    Tyler war noch jung genug, um ihm all das zu glauben, was er glauben wollte. Jace konnte sich nicht daran erinnern, jemals so jung gewesen zu sein. Er hatte nie den Luxus kennen gelernt, einen Beschützer zu haben. Alicia hätte ihn vielleicht gerne beschützt, hatte es jedoch für besser gehalten, es nicht zu tun. Stattdessen hatte sie ihm das größte Geschenk gemacht, das sie ihm ihrer Meinung nach machen konnte: die Fähigkeit zu überleben.
    Sie hatte ihm stets eingeschärft, dass er keine wertvolle Zeit damit verschwenden sollte, in Panik zu geraten. Es hatte keinen Sinn, es brachte ihm nichts. Trotzdem war es zum Teil Panik – und Schmerz – , die sein Gehirn in den wenigen kostbaren Stunden, die er hätte schlafen sollen, am Laufen hielt wie einen Hamster in seinem Rad. Um halb fünf kroch er auf allen vieren aus dem Bett auf den Fußboden und versuchte festzustellen, wo es ihm am meisten wehtat.
    Sein Knöchel war geschwollen und ließ sich kaum bewegen. Er hatte ihn während der Nacht in Eisbeutel gepackt, in der Hoffnung, dass die Schwellung nachlassen und es reichen würde, wenn er ihn anschließend bandagierte, dass er sich die Bänder nicht schlimmer gezerrt hatte, als er dachte. Langsam, ganz langsam stützte er sich mit der Hand auf den chinesischen Hocker, holte tief Luft und richtete sich auf.
    Selbst ein normaler hektischer Arbeitstag konnte sich wie ein übler Kater am nächsten Tag bemerkbar machen. Ein schmerzender Rücken, verspannte Muskeln, stahlharte Achillessehnen. Blaue Flecken, Schnitte, Kratzer. Lungen, die vom Einatmen der Abgase brannten. Entzündete Augen, verkrampfte Finger vom Umklammern des Lenkers.
    Der heutige Tag schien nicht schlimmer zu sein als jeder schlimme Tag nach einem Unfall, abgesehen von dem Wissen, dass ihn jemand umbringen wollte.
    Er ging ins Badezimmer, stellte sich kurz unter die kalte Dusche, um seine Kopfschmerzen zu vertreiben, dann bandagierte er seinen Knöchel, so fest er es wagte. Er war auf seinen doppelten Umfang angeschwollen, aber er konnte ihn belasten, und das war alles, was zählte.
    Am Fuß der Treppe setzte er sich und zog mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen den Schuh an. Kleine Schweißperlen traten auf seine Stirn. Er hörte, wie draußen an der Laderampe der Lieferwagen mit dem Eis vorfuhr. Der erste Morgengruß in Chinatown und den meisten anderen von ethnischen Minderheiten bewohnten Vierteln, die Jace kannte: Lieferungen an die kleinen Familienbetriebe, die Lebensmittelläden, die Fleischereien, die Restaurants. Einmal in der Woche bekam der Metzger auf der anderen Straßenseite Kisten mit lebenden Hühnern und Enten geliefert, die in den Weckruf mit einstimmten. Für Jace hatten der Lärm und die tägliche Routine etwas Tröstliches, er stellte sich vor, dass es so sein musste, wenn man in eine große Familie hineingeboren wurde.
    Das Klirren einer Kette. Das Brummen des Motors, der die Rolltür in Bewegung setzte. Die Stimme von Madame Chens Neffen, Chi, der seinem Cousin Boo Zhu Befehle zurief. Das Schaben von Metall auf Beton, als Boo Zhu von der Rampe sprang und seine Schaufel hinter sich herzog.
    Jace sog die feuchte, nach Fisch riechende Luft tief in seine Lungen und machte sich an die Arbeit. Er sagte Chi nichts davon, dass er verletzt war. Chi fragte nicht. Chi, der sich um das tägliche Geschäft auf dem

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