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Tödliche Absicht

Tödliche Absicht

Titel: Tödliche Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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durchgefroren und fühlte sich unbehaglich. Er griff nach dem Teleskop.
    »Fang auf!«, rief er.
    Er warf das Instrument in hohem Bogen über die Antriebswelle. Neagley fing es mit einer Hand auf und wandte sich sofort wieder dem Schallloch zu. Hielt das Teleskop ans Auge.
    »Könnte ein ziemlich neuer Chevy Tahoe sein«, erklärte sie. »Hellgoldmetallic. Die Sonne spiegelt sich in der Windschutzscheibe. Die Insassen sind nicht zu erkennen.«
    Reacher schaute wieder nach Norden. Die Straße war leer. Er konnte zehn Meilen weit sehen. Für diese Entfernung hätte ein Auto selbst bei flottem Tempo zehn Minuten gebraucht. Er stand auf und reckte sich. Ging geduckt unter der Antriebswelle hindurch und kroch zu Neagley hinüber. Sie rückte etwas zur Seite. Er rieb seine tränenden Augen trocken und starrte auf die aus Süden kommende Straße. Ein winziger goldener Punkt näherte sich in etwa fünf Meilen Entfernung dem Ort. Sonst war kein Auto zu sehen.
    »Nicht gerade belebt«, bemerkte sie. »Stimmt’s?«
    Sie gab ihm das Teleskop. Er stellte es für seine Augen scharf, stützte es auf ein Schallbrett und blickte hindurch. Die durch die starke Optik entstehende räumliche Verkürzung ließ den Geländewagen stillstehen. Er schien auf der Fahrbahn zu holpern und zu schwanken, aber überhaupt nicht voranzukommen. Er sah schmutzig aus, so als hätte er eine lange Fahrt hinter sich. Der große Chrombügel vor dem Kühler wies Schlamm- und Streusalzspuren auf, und die Windschutzscheibe war verdreckt. Wegen der Sonnenreflexe auf der Scheibe war unmöglich zu erkennen, wer in dem Wagen saß.
    »Wieso scheint die Sonne noch?«, fragte er. »Es sollte doch schneien.«
    »Sieh nach Westen«, sagte Neagley.
    Reacher setzte das Teleskop ab, presste die linke Gesichtshälfte an die Schallbretter, kniff das rechte Auge zu und sah mit dem linken seitlich hinaus. Der Himmel war zweigeteilt. Im Westen stand eine fast schwarze Wolkenwand, im Osten war der Himmel blassblau und diesig. Wo die beiden Wetterfronten aufeinander trafen, leuchtete die Sonne durch den Nebel.
    »Unglaublich«, sagte er.
    »So was wie eine Inversion«, stellte Neagley fest. »Hoffentlich bleibt sie, wo sie ist, sonst frieren wir uns hier oben den Arsch ab.«
    »Die Front ist mindestens fünfzig Meilen weit entfernt.«
    »Und der Wind kommt im Allgemeinen aus Westen.«
    »Großartig.«
    Er griff wieder nach dem Teleskop. Das Fahrzeug war etwa eine Meile näher, holperte und schwankte über die Straße. Es musste ungefähr sechzig fahren.
    »Was denkst du?«, fragte Neagley.
    »Klasse Fahrzeug«, erwiderte er. »Scheußliche Farbe.«
    Reacher verfolgte, wie der Geländewagen noch eine Meile näher kam, und gab Neagley dann das Teleskop zurück.
    »Ich sollte den Norden im Auge behalten«, sagte er.
    Er kroch unter der Antriebswelle hindurch auf seinen Platz. Im Norden geschah nichts. Die Straße war leer. Er wiederholte das Manöver von vorhin seitenverkehrt, presste die rechte Gesichtshälfte ans Holz, hielt sich das linke Auge mit einer Hand zu und sah erneut nach Westen. Die Schneewolken hingen im Gebirge fest. Der zweigeteilte Himmel war wie Tag und Nacht.
    »Tatsächlich ein Chevy Tahoe!«, rief Neagley. »Er wird langsamer.«
    »Siehst du das Kennzeichen?«
    »Nein. Ungefähr noch eine Meile weit weg, wird langsamer.«
    »Kannst du sehen, wer darin sitzt?«
    »Sonnenreflexe und getöntes Glas. Nichts zu erkennen. Noch eine halbe Meile.«
    Reacher sah kurz nach Norden. Kein Verkehr.
    »Kennzeichen aus Nevada, glaube ich«, rief Neagley. »Kann’s nicht lesen, ist voller Schmutz. Der Tahoe ist jetzt am Stadtrand. Fährt ziemlich langsam. Sieht nach einer Erkundungsfahrt aus. Er hält nicht an. Die Insassen sind noch immer nicht zu erkennen. Jetzt ist er ganz nah. Ich sehe direkt aufs Wagendach. Hintere Seitenscheiben und Heckscheibe sind dunkel getönt. Gleich verschwindet er aus meinem Blickfeld. Er befindet sich jetzt genau unter uns.«
    Reacher stand an die Wand gepresst da und blickte so steil hinunter wie nur möglich. Durch die schräg stehenden Schallbretter entstand bis etwa fünfzehn Meter vom Fuß des Kirchturms entfernt ein toter Winkel.
    »Wo ist er jetzt?«, rief er.
    »Weiß ich nicht.«
    Über das gedämpfte Heulen des Windes hinweg hörte er Motorengeräusche. Ein großer V-8-Motor fast im Leerlauf. Er starrte weiter nach unten und sah eine Motorhaube in Goldmetallic ins Blickfeld kommen, dann ein Dach, dann eine Heckscheibe. Der

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