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Tödliche Aktien

Titel: Tödliche Aktien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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kurz und eine Brille. Sie sah ziemlich verschreckt aus. Neben ihr saß Karen und telefonierte, beobachtete das Geschehen aber aufmerksam.
    »Hören Sie, Jack, die erzählen mir nicht, was sie in ihrem Portfolio haben«, wandte die junge Frau ein. »Das sei eine vertrauliche Information, sagen sie.« Offenbar war sie den Tränen nahe.
    »Ach ja? Und woher zum Teufel weiß ich es dann?« fragte der ältere Mann. »Scheren Sie sich gefälligst ans Telefon, und besorgen Sie mir diese Aktien.«
    Verzweifelt starrte Sally ihr Telefon an. Sie wußte, wenn sie den Kunden noch einmal anrief, würde er wütend werden. Und Jack würde es sein, wenn sie nicht anrief. Schicksalsergeben griff sie zum Telefon.
    Karen legte auf und hob die Hand. »Einen Moment, Sally!«
    Tenko starrte sie an.
    »Jack, Sie glauben doch zu wissen, was Sallys Kunde hat, weil es Ihnen jemand beim Mittagessen im Pub gesteckt hat, richtig?«
    »Ich hab’ eben meine Quellen«, sagte Tenko mürrisch.
    »Aha. Sie wissen doch genau, daß diese Burschen schwierig sind, um es vorsichtig auszudrücken. Die machen nur mit einer kleinen Anzahl von Brokern Geschäfte, und wir gehören nicht dazu. Da können Sie Sally anschreien, solange Sie wollen. Andern wird es daran nichts.«
    »Dann muß sie eben dafür sorgen, daß wir auf diese beschissene Liste kommen.«
    »Vielleicht schafft sie das, vielleicht auch nicht«, sagte Karen. »Aber Sie müssen ihr Zeit lassen. Und Mut machen.«
    Einen Augenblick lang starrte Tenko Sally und Karen an, dann wandte er sich wieder seinem Schreibtisch zu. »Irgendeine von euch wird mir diese verdammten Caremark besorgen«, murmelte er. »Ich hab ’nen großen Auftrag, und der Markt spielt verrückt.«
    Greg und ich sahen uns an und gingen.
    Wir lehnten an der Bar des Windsor Castle und nahmen unser zweites Pint in Angriff. Es war ein kleiner, alter Pub in Kensington mit drei dichtumlagerten Bars und genügend fleißig trinkenden Stammgästen, die verhinderten, daß die anheimelnde Atmosphäre zur Touristenattraktion verkam. Greg hatte gesagt, er wolle Richard kennenlernen, deshalb hatte ich ihn mitgebracht. Wir waren kurz vor dem verabredeten Zeitpunkt gekommen, und wir hatten Durst.
    Dann sah ich, wie sich die hochgewachsene Gestalt meines Bruders zur Bar durchzwängte. Ich winkte ihm zu. »Auch ein Glas?«
    »Bitte ja«, sagte er. »Ich hab’ eins nötig. Zwei Stunden hab’ ich mit unsren japanischen Kunden zugebracht. Himmel, war das ein hartes Stück Arbeit. Der Bursche, mit dem ich zu tun hatte, ist zwar sehr nett, ich mag ihn wirklich. Aber seine Vorgesetzten in Japan … Mit denen kann man einfach nicht verhandeln.«
    Rasch besorgte ich ihm ein Pint. Er nahm einen kräftigen Schluck. Wenn wir so nebeneinander standen, sah man, daß wir Brüder waren. Die gleiche Nase und das gleiche Kinn. Aber Richard war fünf Jahr älter und acht Zentimeter größer, etwas über eins neunzig. Von unserem Vater hatte er die blonden Haare und die blauen Augen, während ich die krausen dunklen Haare und die fast schwarzen Augen von unserer italienischen Mutter geerbt hatte. Deshalb hielt man mich oft für einen Italiener und Richard für einen Norweger. Er sah sehr gut aus und besaß einen Charme, der nicht nur auf Frauen, sondern auch auf Männer wirkte. Also wahrhaftig ein großer Bruder, zu dem man aufschauen konnte.
    Ich machte ihn mit Greg bekannt.
    »Sie gehören also zu den bedauerlichen Menschen, die mit meinem Bruder zusammenarbeiten müssen?« meinte Richard.
    »Genau«, antwortete Greg. »Es ist der Horror, glauben Sie mir. Aber für ’n verklemmten Tommy ist er gar nicht so übel.« Mit einem Grinsen an meine Adresse fügte er hinzu: »Und hin und wieder hilft er mir auch aus der Patsche.«
    »Ach, ja?«
    »Klar. Nach einer Woche London steckte ich tief in der Scheiße. Ich hatte von einer neuen Staatsanleihe eine Long-Position von einer Milliarde Dollar aufgebaut, als das US-Finanzministerium plötzlich beschloß, noch eine zweite Tranche zu verkaufen. Das heißt, statt zur Geldaufnahme eine neue Anleihe aufzulegen, entschied sich die Regierung, von der bereits aufgelegten noch einmal Papiere im Wert von acht Milliarden Dollar zu emittieren«, erläuterte Greg den Sachverhalt für Richard. »Natürlich gingen meine Papiere in den Keller. Rote Zahlen noch und noch.
    Dann tauchte dieser Bursche hier auf und bot mir an, die Hälfte meiner Position zu übernehmen. Die nächsten Wochen haben wir gezittert, aber am Ende sind wir

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