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Tödliche Aktien

Titel: Tödliche Aktien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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sie in eine Therapie. Ich hab’ sie dort besucht. Es war entsetzlich. Plötzlich begriff ich, was ich mir selber antat. Ich rührte keine Drogen mehr an und hörte in einige Mathekurse hinein. Wider Willen war ich fasziniert. In der Schule gab es ein paar Computer, und ich begann mit ihnen herumzuspielen. Natürlich wollte ich mit den anderen Computerfreaks nichts zu tun haben. Aber ich dachte mir, wenn ich an diesen Geräten interessiert war, warum sollte ich mich dann nicht über sie informieren? Die Leute, mit denen ich mich rumtrieb, hielten mich für verrückt.
    In den höheren Jahrgängen war ich dann wieder ganz gut in der Schule und ging nach Edinburgh, um Informatik zu studieren. Am Fachbereich für Künstliche Intelligenz lernte ich Richard und die Virtuelle Realität kennen. Den Rest kennen Sie.«
    »Wie sind Sie dazu gekommen?« fragte ich fasziniert.
    »Mich rumzutreiben, meinen Sie?« Rachel zuckte die Achseln. »Das hab’ ich mich oft gefragt. Ich weiß nicht. Nicht daß ich meine Eltern gehaßt hätte oder so was. Ich war einfach gelangweilt, nehm’ ich an. Ich fand die Schule langweilig, meine Eltern, Hillhead. Ich hab’ den Kick gesucht. Und ich wollte unabhängig sein.«
    Mit einem Kopfnicken wies sie auf ihr leeres Weinglas. »Und ich bin noch nicht ganz geheilt, wie Sie sehen.«
    »Sie trinken ’ne ganze Menge, nicht?«
    »Kann man wohl sagen«, meinte sie. »Hab’ ich immer getan. Und seit Richards Tod ist es erheblich mehr geworden. Keine Sorge, ich trink’ langsam. Ich werde nicht betrunken. Es beruhigt mich und macht die Nächte erträglicher.«
    Sie bemerkte meinen Blick. »Sie haben ja recht, ich trink’ wirklich zuviel, ich rauch’ zuviel, ich ernähr’ mich unmöglich, und ich schlaf nicht genug. Es wär ’n Wunder, wenn ich viel älter als fünfunddreißig würde. Und es interessiert mich einen Dreck.«
    »Mich schon«, sagte ich, ohne nachzudenken.
    Überrascht blickte sie mich an.
    »Ich meine, Sie müssen ein bißchen auf Ihre Gesundheit achten.«
    Sie zuckte wieder mit den Achseln. »Vielleicht.«
    Wieder schwiegen wir und betrachteten die anderen Gäste im Biergarten. Eine Gruppe von sechs oder sieben jungen Männern setzten sich an einen Tisch. Alle hielten sie ein Bier in der Hand und lachten laut über die Witze der anderen.
    »Haben Sie viele Freunde gehabt?« fragte ich.
    Sie lachte. »Als ich jung war, schon. Ich weiß nicht, wie viele Jungen und Männer ich hatte, bevor ich sechzehn war. Ich hab’ verdammtes Glück gehabt, daß ich nicht schwanger geworden bin. Aber dann hab’ ich irgendwie das Interesse verloren. Ich hatte den Kopf voll mit anderen Dingen.
    In Edinburgh gab es einen Jungen namens Ewan, aber der wurde nicht mit mir fertig. Er war zu nett.«
    Schließlich sprach ich die Frage aus, die schon die ganze Zeit in der Luft hing. »Und Richard?«
    »Richard …« Sie lächelte nachdenklich. »Nein, mit Richard ist nichts passiert. Unsere Beziehung war viel zu wichtig, um sie durch Sex zu gefährden.«
    Wahrscheinlich hatte sie gar nicht so unrecht. Eine interessante Frau, diese Rachel. Trotz ihrer wilden Vergangenheit und ihres Eremitendaseins war es ihr gelungen, sich eine Art heiteren Seelenfrieden zu verschaffen. Sie hatte sich ihr Leben nach ihrem Geschmack eingerichtet und war anscheinend glücklich damit. Es war schon bewundernswert, wie sie es bewerkstelligt hatte, aus dem Teufelskreis pubertärer Selbstzerstörung herauszufinden.
    »Nun sind Sie dran«, sagte sie.
    »Na ja, mein Vater ist auch ein Mathematiklehrer, wenn auch an der Uni.«
    Sie lächelte mich an. »Ich weiß«, sagte sie. »Richard hat es mir erzählt.«
    Ich hätte mir eigentlich denken können, daß Richard ihr im Laufe der Jahre alles über unsere Familie erzählt hatte. Verblüfft wurde mir klar, daß er wahrscheinlich auch über mich gesprochen hatte. Was mochte er ihr wohl erzählt haben? In heftigen Schüben kamen die Schuldgefühle zurück. Vielleicht hatte er ihr von dem letzten Streit berichtet, den wir gehabt hatten. Hoffentlich nicht. Rachel beobachtete mich. Sie erriet, daß ich an ihn dachte. »Wissen Sie, daß Sie sehr verschieden sind?« fragte sie.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie und Richard sind sehr unterschiedlich. Nun ja, man merkt schon, daß Sie Brüder sind, aber Sie sind, ich weiß nicht, einfühlsamer. Sie interessieren sich mehr für Menschen.«
    »Richard hat sich doch für die Menschen interessiert, die für ihn gearbeitet haben, oder?« fragte ich.

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