Tödliche Aspekte Kommissarin Julia Sanders 2. Fall (Krimis aus Schleswig-Holstein) (German Edition)
zur Seite, er war tot.“ Gesche fing
hemmungslos zu weinen an. Julia strich ihr sanft über das Haar. Das Mädchen tat
ihr leid.
„Gesche bist du sicher, dass Conny zu
diesem Zeitpunkt wirklich tot war?“
„Ja ich bin Arzthelferin. Ich kenne die
Merkmale.“
„Was hast du dann gemacht?“ Sie zuckte
mit den Schultern.
„Ich bin weggelaufen. Ich konnte seinen
Anblick nicht länger ertragen.“ Julia sah Andrea an, die das Gesicht verzog.
„Wo ist Conny jetzt?“ Nun kam das, was
Julia eigentlich nicht hören wollte. „Sag nicht, dass er immer noch in der
Fabrik ist?“ Gesche sah sie mit verschleiertem Blick an und nickte schuldbewusst.
Julia holte tief Luft. „Wie lange ist das jetzt her? Ein paar Wochen nicht
wahr?“ Gesche senkte den Kopf. Julia wollte ihr lieber nicht erzählen, wie Conny
nach dieser Zeit in der Hitze des Sommers aussehen mochte, ganz abgesehen von
dem Geruch, den er verbreitete. „Gesche möchtest du ein Glas Wasser haben?“ Das
Mädchen nickte.
„Darf ich bitte auch eine Zigarette
haben?“ Es herrschte zwar Rauchverbot im Gebäude. Aber einer der Kollegen hatte
bestimmt welche für den Notfall dabei.
„Andrea wärst du so lieb und fragst mal
nebenan?“ Einen Augenblick später zog Gesche begierig an der Zigarette. „Geht‘s
wieder?“, fragte Julia sie. „Hat Conny Angehörige?“
„Seine Mutter lebt auch irgendwo auf der
Straße. Sie ist auch süchtig. Sonst hat er niemanden.“
„Und du? Leben deine Eltern noch?“
„Ja, sie wohnen in einem piekfeinen Haus
in Düsternbrook. Als sie merkten, welchen Umgang ich habe, setzten sie mich vor
die Tür.“
„Gesche bist du auch süchtig wie dein
Freund?“ Entsetzt schüttelte sie den Kopf.
„Ich hab‘s einmal probiert, danach ging es
mir so dreckig, dass ich es nie wieder genommen habe. Das müssen Sie mir
glauben.“
„Tun wir auch. So Gesche dann erzähl uns
bitte mal ganz genau, was an dem Tag passiert ist.“ Das Mädchen schluckte
schwer und räusperte sich.
„Conny und ich waren unterwegs an der
Förde. Er brauchte Geld, hatte keinen Stoff mehr. Conny meinte, wir würden
jemand anrempeln und ihm die Geldbörse klauen. Er stellte sich das so einfach
vor. Überhaupt war er ein Träumer, dachte nie real. Conny träumte davon,
irgendwann einmal stinkreich zu sein und eine große Villa zu besitzen. Wir
liefen am Hindenburgufer entlang, weil da im Sommer viele Menschen sind. Ein
Mann fiel uns auf, er saß auf dem Boden des Anlegers der Bellevue Brücke, mit
dem Rücken zu uns. Conny meinte, der Typ da, das ist unser Mann. Conny schlich
sich leise an ihn ‘ran und stieß ihn an. Der Mann reagierte sofort, sprang auf
die Beine und rief, was das soll. Wir sollten ihn in Ruhe lassen. Aber Conny
begann eine Schlägerei, hat immer wieder auf ihn eingedroschen, obwohl der
andere bestimmt einen Kopf größer war als er. Plötzlich lag der Mann am Boden
und Conny trat auf ihn ein. Ich habe ihn angeschrien, er sollte aufhören, doch
er war rasend vor Wut. Wahrscheinlich, weil er schon Entzugserscheinungen
hatte. Er nahm ihm das Portemonnaie und sein Handy ab. Als der Mann sich immer
noch rührte, würgte er ihn. Mit letzter Kraft bekam er mit dem Mund Connys
Finger zu fassen und biss zu. Conny schrie vor Schmerzen auf und trat noch
einmal zu, sodass der Mann ins Wasser stürzte. Dann rannte mein Freund schreiend
davon.“
„Was hast du dann getan?“, fragte Andrea
sie. Gesche wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg, als würde damit
diese schreckliche Erinnerung verblassen.
„Zuerst blieb ich wie angewurzelt
stehen, dann hab ich Panik bekommen und bin auch weggelaufen. Der Mann war ja
schon tot, da konnte ich auch nichts mehr machen.“
„Du irrst dich Gesche, der Mann hat noch
gelebt, als Conny ihn ins Wasser geschupst hat. Er war lediglich bewusstlos. Du
hättest ihn also noch retten können“, sagte Julia mit leiser Stimme.
„Oh Gott“, erwiderte Gesche und schlug
die Hände vor das Gesicht. „Was geschieht jetzt mit mir? Muss ich ins Gefängnis?“
„Das entscheidet der Richter. Du wirst
wohl eine Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung bekommen. Mich würde
interessieren, warum du Conny bei der Polizei angeschwärzt hast.“
„Ich dachte, wenn Sie ihn finden, muss
er ins Krankenhaus.“
„Dann hättest du uns aber von der Fabrik
erzählen müssen, er würde vielleicht heute noch leben. Sag uns noch einmal ganz
genau, wo diese Fabrikhalle steht, in der du Conny zurückgelassen hast.“
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