Tödliche Beute
soeben der Vorhang.«
Aus mehreren Häfen fuhren Fischerboote auf eine Stelle im Meer zu, an der das Wasser sichtlich aufgewühlt war.
Sie rasten mit hoher Geschwindigkeit voran und schossen über die flachen Wellenkämme hinweg. An ihrem Zielort sah man die glänzenden schwarzen Rücken einer Herde Pilotwale aus dem Wasser auftauchen. Aus den Nasenlöchern der Tiere stiegen Gischtfontänen auf.
Die
Sea Sentinel
hielt ebenfalls auf die Herde zu.
Petersen gab seinem Steuermann einen Befehl. Der Kreuzer verließ seine Wartestellung.
Becker hatte über Petersens letzte Äußerung nachgedacht. »Sagen Sie, Kapitän, wann wird aus einem ›Abdrängen‹ ein ›Rammen‹?«
»Wann immer ich es will.«
»Besteht zwischen diesen beiden Optionen nicht ein feiner Unterschied?«
Petersen ließ den Steuermann das Tempo erhöhen und einen Kurs genau auf die
Sea Sentinel
setzen. Dann wandte er sich wieder Becker zu und lächelte grimmig.
»Das werden wir bald herausfinden.«
2
Ryan sah den Kreuzer Fahrt aufnehmen und auf das SOS-Schiff zusteuern. »Wie es aussieht, hat Hamlet endlich eine Entscheidung getroffen«, sagte er zu Chuck Mercer, seinem Ersten Offizier, der am Ruder der
Sea Sentinel
stand.
Sie hatten versucht, die Wale aufs offene Meer zu treiben. Die Herde bestand aus etwa fünfzig Tieren, und einige der Weibchen fielen zurück, um bei ihren Kälbern zu bleiben, wodurch der Rettungsversuch sich verzögerte.
Das SOS-Schiff fuhr im Zickzack umher, als wäre es ein einsamer Cowboy, der verirrte Rinder zusammentreiben wollte, aber die nervösen Wale machten das Vorhaben nahezu unmöglich.
»Als wolle man ein Rudel Katzen fangen«, murmelte Ryan. Er trat hinaus auf den Steuerbordflügel der Brücke, um die nahenden Gegner zu beobachten. Noch bei keinem
grindarap
war ihm ein dermaßen großes Aufgebot untergekommen. Es schien, als hätte jeder Hafen der Färöer sich vollständig geleert. Dutzende von Booten, große kommerzielle Trawler genauso wie kleine offene Nussschalen mit Außenbordern, rasten aus mehreren Richtungen herbei, um an der Jagd teilzunehmen. Ihr Kielwasser hinterließ auf dem dunklen Ozean unzählige weiße Streifen.
Therri Weld stand bereits draußen und verfolgte, wie die Armada sich sammelte. »Diese Dickköpfigkeit ist irgendwie bewundernswert«, sagte sie.
Auch Ryan war beeindruckt und nickte zustimmend.
»Jetzt weiß ich, wie Custer sich gefühlt hat. Die Färinger legen sich für ihre blutigen Bräuche mächtig ins Zeug.«
»Das ist keine spontane Aktion«, sagte Therri. »Dieser geordnete Aufmarsch kann nur bedeuten, dass sie sich vorher abgesprochen haben.«
Die Worte waren kaum verklungen, als die nahende Flotte wie auf Kommando zu einer Zangenbewegung ausholte. Mit einem klassischen Flankenmanöver umging sie auf diese Weise Ryans Schiff und gelangte auf die Seeseite der gemächlichen Herde. Dort formierte sie sich zu einer Reihe und steuerte zurück in Richtung Ufer, wobei die Enden des Kordons sich in langsamem Bogen aufeinander zubewegten. Die Pilotwale befanden sich zwischen den Booten und der
Sea Sentinel
, drängten sich enger zusammen und machten kehrt.
Ryan fürchtete, die panischen Tiere zu verletzen oder Familienverbände zu zerstören, falls er an Ort und Stelle blieb. Widerwillig ordnete er an, die gegenwärtige Position zu räumen.
Als die
Sea Sentinel
den Weg freigab, brachen die triumphierenden Fischer in lauten Jubel aus. Ihre Boote umfingen die glücklosen Wale mit einer tödlichen Umarmung. Immer enger schloss sich die Reihe und trieb die Beute ans vorherbestimmte Ziel, wo schon die scharfen Messer und Speere der Henkersknechte warteten.
Ryan befahl, die
Sea Sentinel
in offene Gewässer zu steuern.
»Diesmal geben wir uns aber schnell geschlagen«, sagte Mercer.
»Abwarten«, erwiderte Ryan mit rätselhaftem Lächeln.
Der Kreuzer kam längsseits der
Sea Sentinel
, beinahe wie ein Polizist, der einen Randalierer aus dem Fußballstadion geleitete, aber als sie sich ungefähr einen Kilometer von den Fangbooten entfernt hatten, fiel das Kriegsschiff zurück. Ryan ging selbst ans Ruder und vergewisserte sich immer wieder, wo sich die
Leif Eriksson
befand. Als er glaubte, der richtige Zeitpunkt sei nun gekommen, nahm er den Hörer, der ihn mit dem Maschinenraum verband.
»Volle Kraft voraus«, befahl er.
Mit ihrem breiten Rumpf und den hoch aufragenden Bug- und Achtersektionen wirkte die
Sea Sentinel
schwerfällig wie eine altmodische Badewanne, denn sie war
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