Tödliche Beute
einem anderen Blatt.«
»Das hat mich bei dieser Angelegenheit vom ersten Moment an gestört – die Unvorhersehbarkeit«, sagte Throckmorton.
Barker schaute auf die Uhr. »Keineswegs unvorhersehbar ist hingegen mein nächstes Seminar. Es fängt in wenigen Minuten an.« Er verbeugte sich leicht und gab Paul und Gamay zum Abschied die Hand. »Bitte verzeihen Sie die Eile. Es hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen.«
»Ihr Kollege ist faszinierend«, sagte Gamay, nachdem Barker gegangen war. »Er sieht eher wie ein Proficatcher als wie ein Wissenschaftler aus.«
»O ja, Frederick ist einzigartig. Die Studentinnen lieben ihn. Er fährt mit einem Motorrad durch die Gegend, und das gilt als besonders cool.«
»Was ist mit seinen Augen?«
»Natürlich, die Sonnenbrille. Frederick neigt zum Albinismus. Wie Sie auch schon an seiner Hautfarbe erkennen können, meidet er die Sonne, und seine Augen sind sehr lichtempfindlich. Allerdings hat das keinerlei Einfluss auf seine Fertigkeiten gehabt. Er ist wirklich ein brillanter Kollege, aber im Gegensatz zu mir stellt er sein Fachwissen in den Dienst der Privatwirtschaft. Vermutlich ist er längst Millionär. Wie dem auch sei, wir sind Ihnen für Ihre Warnung zu größtem Dank verpflichtet. Ich fange sofort an, ein Forschungsteam zusammenzustellen.«
»Jetzt haben wir aber genug von Ihrer Zeit in Anspruch genommen«, sagte Gamay.
»Durchaus nicht. Es war mir ein Vergnügen. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.«
Throckmorton bat darum, sich die Videoaufzeichnung kopieren zu dürfen. Kurz darauf saßen Paul und Gamay in einem Taxi und fuhren den Hügel hinunter zum Hotel.
»Interessanter Nachmittag«, sagte Paul.
»Mehr als du ahnst. Während Throckmorton und ich das Band kopiert haben, habe ich ihn nach Barkers Auftraggebern gefragt. Ich dachte, eine weitere Spur könne nicht schaden. Er sagte, die Firma heiße Aurora.«
»Hübscher Name«, stellte Paul gähnend fest. »Was wusste er noch über den Laden zu erzählen?«
Gamay lächelte geheimnisvoll. »Er sagte, Aurora sei die Tochtergesellschaft eines größeren Konzerns.«
Paul sah sie erstaunt an. »Jetzt sag bloß nicht …«
Sie nickte. »Oceanus.«
Er überlegte eine Weile. »Ich habe versucht, das Ganze wie die Erstellung einer Computergrafik zu betrachten, aber es handelt sich eher um ein Bilderrätsel. Barker ist einer der Punkte, die Kerle, die uns von der Straße abdrängen wollten, sind ein zweiter Punkt. Wenn wir die beiden miteinander verbinden, zeichnet sich der erste Umriss eines Bildes ab. Daraus ergeben sich für uns zwangsläufig die nächsten Schritte.«
»Und die wären?«, fragte Gamay skeptisch.
Paul grinste gequält. »Wir müssen weitere Punkte finden.«
23
Der von Ryan vorgeschlagene Treffpunkt lag nur wenige Minuten von der Zentrale der NUMA entfernt. Austin folgte dem George Washington Parkway bis zu einem Schild, auf dem THEODORE ROOSEVELT ISLAND stand. Dann parkte er seinen Wagen, folgte der Fußgängerbrücke über den Little River und einem Weg bis zum Roosevelt Memorial, einem großen Platz, an dessen Rand niedrige Bänke standen. Ryan wartete vor der Bronzestatue des einstigen Präsidenten und hielt offenbar schon nach Austin Ausschau.
Als er ihn entdeckte, winkte er ihn zu sich. »Danke, dass Sie gekommen sind, Kurt.«
Er drehte sich um und blickte zu der Statue empor.
Roosevelt stand breitbeinig da und reckte eine Faust gen Himmel. »Der alte Teddy da oben ist mein großes Vorbild. Er hat viele Millionen Hektar Land unter Naturschutz gestellt, gefährdete Vogelarten vor den Trophäenjägern gerettet und den Grand Canyon zum Nationalpark erklärt. Sobald es ihm um das Gemeinwohl ging, scheute er nicht davor zurück, den vollen Spielraum der Gesetze auszuschöpfen. Immer wenn ich an meiner Tätigkeit zu zweifeln beginne, denke ich daran, wie Teddy all die Geldsäcke in die Knie gezwungen hat.«
Austin hatte das Gefühl, dass Ryan mal wieder eine Show abzog. »Es ist kaum vorstellbar, dass Sie überhaupt je Zweifel empfinden, Marcus.«
»Oh, ganz im Gegenteil, glauben Sie mir. Vor allem, wenn ich an das Ziel denke, das ich mir gesetzt habe: die Weltmeere und all ihre Geschöpfe zu beschützen.«
»Falls ich mich recht entsinne, ist der Posten des Meeresgottes seit ein paar tausend Jahren besetzt.«
Ryan lächelte verlegen. »Ja, ich klinge wohl tatsächlich mitunter gottähnlich. Aber die klassische Mythologie besagt auch, dass die Götter sich ihre Positionen
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