Toedliche Blumen
Geld?
Aber außer Alicia gab es noch weitere Hausbewohner, aus denen nicht besonders viel herauszubekommen war. Sie bildeten regelrecht eine Mauer aus Schweigen um sich. Abgesehen von den Gefühlsentladungen, die der Konflikt um das Lärmproblem von Britta Hammar ausgelöst hatte, in den alle Bewohner des Gebäudes hineingezogen zu sein schienen. Man hatte also einen Streitpunkt gefunden und projizierte nun offenbar jeglichen Ärger darauf.
Die Übelkeit nahm zu. Louise versuchte sich zu beherrschen beziehungsweise sich abzulenken, doch es gelang ihr nur für drei Sekunden, woraufhin sie hinausstürzte und gerade noch die Toilettentür hinter sich abschließen konnte, bevor sie sich in die Toilettenschüssel übergab.
Während sie ihren Mund unter dem Wasserhahn ausspülte, zitterten ihr die Knie. Das Wasser hatte einen Beigeschmack von Chlor und Rost.
Als sie in ihr Zimmer zurückkam, fühlte sie sich ziemlich ausgelaugt. Sie stellte sich ans Fenster und schaute hinaus. Die Sonne zeigte sich. Schräg vor ihrem Fenster saß ein Vogel in einer Ulme. Sie wusste nicht, was für einer es war, denn sie kannte sich nicht besonders gut aus, was Vögel anging. Auf jeden Fall saß er dort unbekümmert und bewegte seinen Kopf hin und her. Er konnte sich jederzeit aufmachen und davonfliegen, wann er wollte, während sie mit einem verpfuschten Leben und einem ungewollten Zellklumpen in ihrem Schoß dastand und weder aus noch ein wusste.
So konnte es einfach nicht weitergehen. Sie durfte nicht länger warten und sich dabei selbst betrügen.
Also griff sie nach dem Hörer, wählte die Nummer des Krankenhauses und bat darum, mit der gynäkologischen Ambulanz verbunden zu werden. Entgegen allen Erwartungen wurde sie nahezu ohne Wartezeit durchgestellt. Sie teilte ihr Anliegen mit und fragte nach einem Termin für eine Abtreibung, woraufhin ihr die Sprechstundenhilfe ohne größere Neugier drei kurze Fragen stellte. Sie wollte wissen, ob Louise einen Schwangerschaftstest gemacht hatte, wann sie zum letzten Mal ihre Periode hatte und ob sie bereits mit einem Seelsorger gesprochen habe. Da das nicht der Fall war, fragte die freundliche Stimme weiter, ob sie einen Gesprächstermin vereinbaren wolle, denn vor einem solchen Entschluss sei es normal, dass man recht ambivalente Gefühle bezüglich einer eventuellen Schwangerschaft hege. Doch Louise antwortete, dass sie keinen Gesprächstermin brauche und dass sie bereits wisse, was sie wolle. Sie gab zu, dass sie zwar bei der Apotheke gewesen war und einen Test gekauft hatte, aber dass sie die Verpackung nicht geöffnet hatte, weil sie sich ihrer Sache sowieso sicher war.
Anhand ihres Taschenkalenders konnte sie nachvollziehen, wann das »Unglück« höchstwahrscheinlich passiert und wie weit die Schwangerschaft bereits fortgeschritten war.
Dreimal waren sie zusammen gewesen, seitdem Janos ausgezogen war. Drei Mal!
Während des gesamten Verlaufs einer langjährigen Ehe hatte sie es geschafft, eine ungewollte Schwangerschaft zu vermeiden, und ausgerechnet jetzt, mitten im Chaos der Trennung, war sie daran gescheitert. Dabei war es ihr irgendwie so sinnlos vorgekommen, Tag für Tag weiterhin die Pille zu nehmen, obwohl sie keinen Partner hatte.
Es war ganz allein ihre Schuld.
Sie erhielt bereits für den folgenden Montag einen Termin in der Ambulanz, was ihr völlig unglaublich erschien. Sie notierte die Uhrzeit und klappte den Kalender mit einer gewissen Erleichterung zu. Jetzt hatte sie endlich aufgehört, die Augen zu verschließen, doch das änderte nichts an ihrer Befindlichkeit. Außer dass sie sich möglicherweise nicht mehr ganz so niedergeschlagen fühlte.
Unmittelbar danach suchte sie Peter Berg auf und bat ihn, ein paar Techniker aufzutreiben, die zum Recyclingzentrum Mockebo fahren konnten, woraufhin sie nach ihren eigenen Autoschlüsseln griff, sich die Jacke anzog, die Treppe nach unten nahm und auf dem Weg zum Ausgang der neuen Rezeptionistin zunickte, einer bedeutend farbloseren Person als Nina Persson, die sich zurzeit im Mutterschutz befand. Sie hatte einen großen Jungen geboren. Er wog fast fünf Kilo und sah aus wie ein Boxer, doch Nina strahlte nur angesichts ihres Wunderknaben.
Einigen Menschen gelingt es anscheinend, glücklich zu sein. Wenigstens eine Zeit lang, dachte sie. Jedenfalls machten sie einen zufriedenen Eindruck.
Eigentlich hätte sie an ihren Schreibtisch zurückgemusst und jemand anders schicken sollen, aber ihr ganzer Körper verlangte
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