Toedliche Blumen
Lebens eine Antwort parat zu haben. Maschinenbauingenieur. Er hatte seine Berufsbezeichnung mit einer solchen Selbstgefälligkeit ausgespuckt, dass Kjell E. Johansson es nicht anders deuten konnte, als dass dieser Mann geradezu nach Schlägen verlangte.
Er drehte den Hahn weit auf und spülte das Rasiermesser unter heißem Wasser ab. Es war sogar so heiß, dass er sich beinahe verbrannte. Vorsichtig massierte er dann den Rasierschaum oberhalb seiner Oberlippe ein.
Die Stelle tat nach wie vor weh. Einige Partien waren wie betäubt. Doch das Gefühl würde wohl nach einer Weile wiederkommen. Und ansonsten konnte er auch damit leben. Seine Gesichtsfarbe hatte sich allmählich von einem satten Lila zu einem grünlich gelben Farbton hin verändert. Es juckte, und das war ein gutes Zeichen. Er kratzte sich vorsichtig mit seinem abgekauten Fingernagel. Die Wunden waren dabei zu verheilen. In der kommenden Woche hatte er erneut einen Arzttermin. Wollte ihn auch wahrnehmen. Nur zur Sicherheit.
Die Rasur war ein heikles Unterfangen. Er ließ das Messer vorsichtig über seine Wangen gleiten, um kein neuerliches Bluten oder zusätzliche Schnitte zu verursachen oder gar einige der unzähligen Schorfpartien aufzureißen. Mied die verletzten Bereiche, deren Heilungsprozess schon fortgeschritten war und die jetzt als hellrosafarbene Narben im Wangenbereich prangten. Manche waren mit einem dünnen Faden genäht, andere nur mit chirurgischen Pflastern geklebt, die sich an den Enden gelöst und eine Farbe wie schmutziger Schnee bei Tauwetter angenommen hatten, also hatte er sie kurzerhand abgerissen.
An Alicia hatte er nicht gerade große Freude gehabt, was ihn jedoch nicht länger bekümmerte. Er hatte sie bereits als zu jung abgeschrieben und konnte sich mittlerweile sogar eingestehen, dass er sowohl dumm als auch viel zu eitel gewesen war. Frischfleisch in allen Ehren, doch war er durchaus nicht bereit, sich wegen ihrer Person geradezu der Lächerlichkeit preiszugeben.
Das Kostümfest gehörte somit zu einem Kapitel in seinem Leben, das er so schnell wie möglich aus seiner Erinnerung streichen wollte. Sobald sein Gesicht einigermaßen wieder hergestellt war und er einen Termin beim Zahnarzt bekäme, würde sich alles wieder einrenken. Aber es würde teuer werden. Zwei Zähne. Er hatte vorsichtig die verbliebenen Stümpfe befühlt und mit Zufriedenheit festgestellt, dass sie saßen, wo sie hingehörten, wenn auch etwas lose.
Während der vergangenen Woche hatte er nach einigen betrüblichen Nächten in Untersuchungshaft trotz allem seinem Job nachgehen können. Der Frühling gehörte neben Weihnachten zur Hochsaison für einen Fensterputzer. Seinen Auftraggebern, die ihn neugierig fragten, was denn mit seinem Gesicht passiert sei, antwortete er, ohne zu zögern, dass er eine Leiter heruntergefallen sei. Leider. Doch er hatte Glück im Unglück gehabt, wie er trotz der unvollständigen und somit nicht gerade ansehnlichen Zahnreihe mit einem Grinsen hinzufügte. Denn er hatte sich nicht das Genick gebrochen. Inzwischen hatte er diese Geschichte schon so viele Male heruntergeleiert, dass er beinahe selbst daran glaubte.
Auf diese Weise erhielt er ein gewisses Maß an Mitleid, auch wenn er nicht direkt darauf aus war. Im Moment war ihm eigentlich in erster Linie am Geld gelegen.
Doch am heutigen Samstag hatte er keinen Auftrag eingeplant. Er musste sich also irgendwie beschäftigen, damit er weder in ein tiefes Loch fiel noch sich über eine mögliche neuerliche Festnahme den Kopf zerbrechen musste. Polizisten gehörten zu einer unberechenbaren Spezies. Da half es auch nichts, dass er ein blütenreines Gewissen hatte.
Als er an diesem Morgen das Radio einschaltete und die Suchmeldung hörte, erweichte sein Herz, das an und für sich auch sonst nicht gerade hart war, und eine Ritterlichkeit ergriff sein Gemüt. Er würde mithelfen! Er würde sich der Suchaktion anschließen, auch wenn das beinhaltete, dass er erneut in den Blickpunkt der Polizei geriet. Doch mit ein wenig Glück würde ihn niemand wiedererkennen. Und wenn doch, so konnte er den Bullen allemal beweisen, dass er ein seriöser Typ war, einer, der sich nicht davor scheute, sich für andere stark zu machen.
Deshalb kleidete er sich entsprechend und zog seine Turnschuhe an. Einen kurzen Augenblick überlegte er, ob er nicht besser Gummistiefel nehmen sollte. Denn er würde schließlich in Wald und Feld unterwegs sein. Doch diese Überlegung scheiterte letztlich an
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