Toedliche Blumen
ja keine Kinder.
Louise gehörte zu den Menschen, die nicht besonders lange still sitzen konnten. Sie machte mitunter einen ziemlich rastlosen Eindruck. Deshalb irritierte sie die Nervosität anderer auch besonders. Sie gehörte zum Beispiel zu denen, die Lundins ewiges Wippen mit seinem Stuhl am wenigsten ertragen konnten. War die, die sich als Erste beschwerte. Doch für gewöhnlich drehte sich Louise selbst auf ihrem Schreibtischstuhl hin und her, wandte sich der Tür zu oder schaute aus dem Fenster, wenn sie mit jemandem sprach, unabhängig davon, um welches Thema es ging. Doch heute schien sie stiller als sonst. Sie unterhielten sich über das vermisste Mädchen. Das Gespräch verlief zäh und mit langen Pausen. Er hatte den Eindruck, als sei Louise nicht ganz bei der Sache. Ob es aber darauf beruhte, dass sie alle übermüdet waren, oder ob es mit dem Mädchen oder gar dem Västlund-Fall, der Zwischenzeitlich niedergelegt worden war, zusammenhing, war schwer zu sagen. Aber Berg glaubte nicht daran, dass es der Job war, der sie so geknickt erscheinen ließ. Es musste in irgendeiner Weise mit ihrem Privatleben zu tun haben. Private Dinge berühren einen immer am meisten.
Die Pausen zwischen ihren Wortwechseln schienen immer größer zu werden, und er hatte eigentlich nicht vor, noch länger sitzen zu bleiben, aber auf der anderen Seite war es nicht ganz leicht, einfach aufzustehen und zu gehen. Er fand es immer unangenehm, mit einer Person in einem Raum zu sitzen, die es aus der Bahn geworfen hatte. Besonders dann, wenn man nicht genau wusste, was der Grund dafür war. Die Situation erschien ihm zunehmend unerträglich, doch er konnte es nicht ändern. Und dennoch schienen beide die Stille in gewisser Weise zu akzeptieren, wahrscheinlich weil sie sich gut kannten. In mancher Hinsicht kam es ihm sogar entspannter vor, nicht immerfort irgendwelche möglichst glaubwürdigen Fakten von sich geben zu müssen, sich anzubiedern oder ständig auf der Hut zu sein.
Er hatte sich gerade einen Plastikbecher mit Kaffee geholt, während Louise sich immer noch an Tee hielt. Natürlich fiel ihm diese neue Gewohnheit auf, doch er kommentierte sie nicht. »Tee ist nur etwas für Kranke«, pflegte Louise noch vor einiger Zeit zu sagen. Es war ihr Standardkommentar über die Teetrinker unter ihren Kollegen. Es wäre ein Leichtes gewesen, sie darauf anzusprechen. Fragen, wie es sich denn nun mit den Kranken verhielte. Aber er tat es natürlich nicht. Sein Fingerspitzengefühl suggerierte ihm, dass es besser wäre, sich den Kommentar zu sparen.
Vom anderen Ende des Korridors hörte man Stimmengemurmel. Die Aktivität im Hause war zur Zeit groß. Fast so, als vibrierten die Wände. Aus verschiedenen Richtungen war Verstärkung eingetroffen. Neue Gruppen wurden zusammengestellt und losgeschickt, um weitere Gebiete zu durchkämmen. Menschenketten wurden gebildet, die aus ausgeruhten Suchenden und Hundeführern bestanden, die alle nur einen Gedanken hatten: das Mädchen finden. Am besten lebend. Peter Berg würde sich selbst bald mit einer Gruppe auf den Weg machen.
Plötzlich näherte sich das Knattern rotierender Hubschrauberflügel und unterbrach die Stille. Peter Berg und Louise Jasinski stellten sich ans Fenster und blinzelten in den Himmel, konnten aber außer einigen aufgeschreckten Vögeln, die flüchteten – Krähen vielleicht –, nichts erkennen.
»Aha, der Helikopter ist eingetroffen«, stellte Berg fest und schaute auf seine Uhr.
»Er ist schon eine Weile vor Ort«, entgegnete Louise.
»Und hat bisher noch nichts gefunden?«
»Nein.«
Die Stimmung im Raum wurde wieder gedämpfter. Doch dann überwand sich Berg schließlich, ließ das Unbehagen hinter sich und begann, von seinem Besuch bei Ted Västlund zu berichten. Eigentlich war er deswegen in Louises Zimmer gekommen. Er schilderte ihn eingehend, weil er sich selbst so stark von der merkwürdigen Form des Trauerns um eine Frau, die ermordet worden war, und ihrem Sohn, der angesichts des Vorfalls vollkommen unberührt wirkte, hatte faszinieren lassen.
»Er sagt jedenfalls, dass es ihn nicht berührt, dass man seine Mutter erschlagen hat. Und er sieht auch nicht besonders mitgenommen aus«, meinte Berg.
Louise hörte plötzlich intensiv zu, absorbierte seine Worte und ihre Zusammenhänge, ungefähr so, als würde sie sich sehr langsam einen Bonbon auf der Zunge zergehen lassen. Jetzt hatte sie anscheinend etwas gefunden, an das sie ihre Gedanken heften
Weitere Kostenlose Bücher