Toedliche Blumen
schnell. Eine eigene Waschmaschine war da doch weitaus angenehmer.
Der Sohn stand mit dem Rücken zur Tür mitten im Raum für Angehörige auf der Intensivstation. Ein großer, hagerer Mann mit aufrechter Haltung und einem penibel ausrasierten Nacken. Der beigefarbene Trenchcoat hing schwer über seinen schmalen Schultern. Das schwarz glänzende, dicke Haar war nach hinten gekämmt. Seine Arme hingen schlaff herunter. Veronika fiel sofort auf, dass er, wie absurd es auch sein mochte, unablässig auf die einzige Wanddekoration des Raumes zu starren schien. Sie bestand aus einer Stoffapplikation auf Sackleinen in unterschiedlichen Rot-, Rosa- und Orangetönen und hing an der hinteren Wand, solange Veronika denken konnte. Sie überschritt mit ihren schrillen Farben nahezu die Grenze des Erträglichen, ein Hohn mitten in allem Elend, doch andererseits waren die meisten Angehörigen, die sich in diesem fensterlosen Raum aufhielten, vermutlich mit ihren Gedanken ganz woanders. Nach dem Äußeren des Mannes zu urteilen, bevorzugte er wahrscheinlich weniger liebevoll komponierte Handarbeiten, eher Werke, die in erster Linie Klasse, guten Geschmack und Reichtum repräsentierten, dachte sie und räusperte sich.
Er wandte sich um. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er nackt wirkte. Verletzlich, trotz der äußeren Rüstung, der blank polierten Schuhe und der einwandfreien Kleidung.
Ebenso fiel ihr auf, dass er sich zögerlich und nur sehr langsam bewegte, fast schwerfällig, sodass sie das diffuse Gefühl überkam, dass sein Verhalten nicht unbedingt ausschließlich mit dem Versuch zusammenhing, in einer schweren Stunde wie dieser seine Emotionen im Zaum zu halten, sondern eher eine Art Demonstration war, von was auch immer. Macht vielleicht. Er schaute sie an, als sei sie ein Geist, der sie in gewisser Weise auch war. Die Botschaft, die sie ihm überbringen würde, war keineswegs angenehm.
»Sie sind der Sohn von Doris Västlund?«, fragte sie einleitend.
Er nickte und streckte ihr seine Hand entgegen. Sie begrüßten sich kurz.
»Ted Västlund«, sagte er mit Bassstimme, und sie stellte fest, dass seine Finger kalt und seine Hände knochig waren.
Sie prägte sich seinen Vornamen ein, was ziemlich leicht war. Ted. Wie Teddybär. Amerikanischer Einfluss.
Sie blieben stehen. Seine Arme hingen nach wie vor an den Seiten herab, die langen Finger ragten aus den Mantelärmeln hervor. Er sagte nichts und stellte auch keine Fragen, die sie in der bewusst hinausgezögerten Pause durchaus erwartet hätte.
Veronika war nach all den Jahren im Krankenhaus einer Situation wie dieser durchaus gewachsen. Soweit man das nun überhaupt sein konnte. Sie wich allem überflüssigen Smalltalk aus, und da sie nicht garantieren konnte, dass sie in diesem Raum ungestört bleiben würden, sagte sie mit sanfter Entschlossenheit: »Wir gehen in ein anderes Zimmer.«
In dem grellen Licht der Neonröhren draußen im Korridor zogen sich ihre Pupillen schmerzhaft zusammen, und sie spürte plötzlich die Müdigkeit hinter ihren Augenlidern, die vor Trockenheit gereizt waren. Während ihres Erziehungsurlaubs hatte sie die Gewohnheit abgelegt, sich bestimmten Aufgaben verpflichtet zu fühlen und sich gezwungen zu sehen, einen Auftrag nach dem anderen mechanisch abzuarbeiten. Aber jetzt lagen noch zwei ganze Tage und Nächte vor ihr. Das war gerade mal der Anfang. Freitagabend. Doch ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als eines nach dem anderen anzugehen, dachte sie. Das Wochenende danach hatte sie zumindest frei.
Der Sohn folgte ihr wie ein stummer Schatten. Sie führte ihn zu einem, wie sie annahm, weniger oft genutzten Besprechungsraum, in dem jedoch einige Schwestern um einen rechteckigen Tisch saßen und irgendeine Festlichkeit vorzubereiten schienen. Auf dem Tisch lagen Krepppapier und Luftschlangen ausgebreitet sowie Servietten, die zu Fächern gefaltet waren, vielleicht stellten sie auch Schwäne oder Königskronen dar. Die Wechselfälle des Lebens hätten nicht deutlicher sein können. Die Schwestern schauten verwundert auf, woraufhin Veronika sich entschuldigte und mit dem groß gewachsenen Mann im Schlepptau auf ein freies Dienstzimmer zusteuerte. Sein Mantel raschelte bei jedem Schritt an seinen Hosenbeinen. Seine Ledersohlen knarrten auf dem Linoleum.
Ihr war aufgefallen, dass sein Hemd trotz der relativ späten Stunde tadellos weiß war. Er hatte nicht einmal seinen Schlips gelockert, der wie ein diskretes,
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