Toedliche Blumen
Schwierigkeiten zu verstehen, was sie sagte? Darauf deutete jedoch nichts hin, weder sein Gang noch sein Atem, den sie im Vorbeigehen wahrgenommen hatte. Vermutlich stand er ganz einfach unter Schock. Und dennoch kam ihr sein reserviertes Auftreten irgendwie beunruhigend, wenn nicht sogar unheimlich vor. Sie wusste nichts über die Beziehung zwischen Mutter und Sohn, doch das konnte warten. Vielleicht sollte sie versuchen, einen professionellen Gesprächspartner, einen Fürsorger oder einen Psychologen zurate zu ziehen. Eventuell sogar einen Pastor, doch das war nicht ganz einfach an einem späten Freitagabend. Schlimmstenfalls mussten sie ihn stationär einweisen. Als letzten Ausweg.
»Es tut mir sehr leid«, wiederholte sie mit gesenkter Stimme. »Natürlich muss es ein Schock für Sie sein.«
Sie bemühte sich, den Mann irgendwie zu erreichen, seine Gefühle anzuregen, sodass er wenigstens eine winzige Reaktion zeigte. Doch es kam keine, außer dass sich sein Mund langsam wieder schloss.
»Haben Sie irgendwelche Fragen?«, wollte sie wissen.
»Tja«, erwiderte er mit undeutlicher Stimme und schüttelte den Kopf, wie um sich selbst zu wecken. »Was soll ich sagen? Doch. Wie wird es mit ihr weitergehen?«
Endlich eine Frage.
»Wir wissen es nicht.«
»Sie wissen es nicht?«, wiederholte er.
»Nein. Im Moment kann niemand prognostizieren, inwieweit sich ihr Zustand verändern wird.«
Veronika sah, wie sich eine senkrechte Falte zwischen den Augenbrauen des Mannes bildete, und wartete auf die häufigste aller Fragen in einer Situation wie dieser. Ein einziges Wort. Warum? Warum gerade sie?
Doch nichts dergleichen kam.
»Nein«, sagte er stattdessen mechanisch.
»Wir kümmern uns intensiv um sie«, betonte Veronika. Was sollte sie auch anderes sagen. »Sind Sie übrigens der einzige Angehörige?«
Er nickte.
»Es gibt also keinen Ehemann?«
»Äh, nein. Sie waren geschieden, seit ich zehn war. Sie lebt allein.«
Veronika überlegte, ob sie das Wort »Misshandlung« besser vermeiden sollte, obwohl es ihr auf der Zunge lag. Doris Västlund wurde extrem roher Gewalt ausgesetzt. Ein wenig mehr, und sie hätte es nicht überlebt. Dann wäre dieser Fall unter die Rubrik Mord oder Totschlag gefallen. Die Spuren ihrer Gegenwehr waren deutlich auf ihren Unterarmen zu erkennen gewesen.
Arme alte Dame.
»Tja«, sagte Ted Västlund zögernd. »Das hätte ich nicht erwartet.«
»Ja.«
So schnell kann es gehen, dachte sie. Von einer Minute zur anderen kann sich viel ändern. Sehr viel sogar. Ein ganzes Leben kann von einem Moment zum nächsten ruiniert werden.
»Was kann ich jetzt tun?«
Die Augen des Mannes waren sanfter geworden. Die Frage glich eher einer Bitte. Er schien also verstanden zu haben, was geschehen war.
»Wir werden Ihnen alle Informationen darüber zukommen lassen, wo sich Ihre Mutter zukünftig befindet. Sie können zu ihr fahren. Darf ich fragen, ob Sie zu Hause jemanden haben, jetzt, wo das passiert ist? Eine Person, die Sie unterstützen kann?«
»Ja, meine Frau. Vielleicht ist sie jetzt noch nicht zu Hause …« Er schaute auf die Uhr.
»Ach, Sie waren eingeladen?«
Er nickte.
»Und die Nachricht hat Sie dort ereilt?«
Erneutes Nicken.
»Das ist natürlich besonders unangenehm.«
»Ja«, seufzte er völlig neutral.
Veronika empfand eine gewisse Erleichterung. Vielleicht würde sie ihn in einer Weile sich selbst überlassen können. Sie wollte endlich zu Hause anrufen und hören, wie es Klara ging. Außerdem hatte sie den Arztbericht noch nicht diktiert. Er sollte im Hinblick auf ein bevorstehendes Rechtsgutachten möglichst detailliert sein. Plötzlich wurde sie kribbelig.
Er hob den Kopf und richtete seinen Blick auf die dunkle Fensterscheibe. Veronika nutzte den Augenblick, um verstohlen auf die Uhr zu schauen. Fast zehn. Die Zeit war wie im Flug vergangen.
Gerade wollte sie ihn fragen, ob er eine kurzfristige Krankschreibung benötigte, als ihr Sucher piepste. Was die kommende Zeit betraf, würde ihm einiges bevorstehen. Umfangreiche Operationen, Intensivpflege und nicht zuletzt lange Fahrten nach Linköping. Dazu noch einiges an praktischen Dingen, um die er sich kümmern musste. Sie entschuldigte sich, stand auf, griff zum Telefon und wandte ihm den Rücken zu, um in gewisser Weise abzumildern, dass ein Außenstehender ihr Gespräch störte. Sie wählte die Nummer auf dem Display des Suchers.
»Hallo, hier ist Agneta von der Notaufnahme«, plapperte eine ihr wohl bekannte
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