Toedliche Brautnacht - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Erster Roman
geschehen! Der alte Schurke hat es gewagt … hat das vor ein paar Tagen geraubte Mädchen … Wir waren zu langsam! Wir hätten es noch verhindern können!“
„Wohl kaum“, sagte ich, um ihn zu beruhigen. „Ich hatte gleich keine Hoffnung, dass es gelingen würde. Und jetzt noch zu protestieren, wäre sinnlos. Am besten, wir fügen uns in die Lage. Wir sollten trotz allem versuchen, unseren Auftrag …“
„Still, Vater!“ Odo drückte mir seine Hand auf den Mund. „Was ist das? Sperr mal die Ohren auf! Hörst du noch etwas?“
Tatsächlich – es war plötzlich still. Es war so still, dass wir vom Seeufer her, 200 Schritte entfernt, ein Käuzchen schreien hörten. Eilends kehrten wir zu dem offnen Burgtor zurück. Hier erwartete uns ein völlig veränderter Anblick.
Die Menge hatte sich geteilt und war ein Stück von dem Haus in der Mitte zurückgewichen. Alle waren verstummt, standen wie vorher dichtgedrängt, aber ohne Bewegung, wie erstarrt. Nur hie und da hörte man noch ein Klirren und Klappern und den erschrockenen Ausruf eines Kindes. Man sah jetzt den Eingang des langgestreckten Hauses, er war offen. Und aus der Dunkelheit dahinter hob sich eine Gestalt ab. Es war eine weibliche Gestalt mit aufgelöstem Haar, das über die bloßen Schultern herabwallte. Ihr Gesicht konnte ich nicht erkennen. Sie trug ein helles Gewand oder drückte es an die Brust. Mit anscheinend ziellosen, etwas schwankenden Schritten wich sie zurück und verschwand fast, kam aber im nächsten Augenblick wieder nach vorn, streckte den Arm aus und stützte sich an den Türpfosten. Ein paar Atemzüge lang stand sie dort reglos, halb abgewandt. Doch dann knickten ihr auf einmal die Knie ein, sie glitt außen an der Flechtwand herab und sank zu Boden, den Kopf mit dem wirren Haar nach vorn geneigt. So blieb sie, halb sitzend, halb liegend, fast ohne Bewegung. Nur ihre Schultern hoben und senkten sich.
In der Menge erhob sich jetzt ein rasch anschwellendes Gemurmel. Drei, vier Frauen lösten sich aus ihrer Mitte und traten zögernd, sich gegenseitig ermunternd auf den offenen Eingang zu. Sie machten sichtlich einen Bogen um die am Boden Hockende, verharrten nochmals und drangen dann in das Haus ein, wo die Dunkelheit sie aufnahm. Einige Männer wollten ihnen folgen, aber ehe sie unter das Dach traten, fuhren sie erst einmal erschrocken zurück. Von drinnen ertönte ein gellender Schrei, dem ein zweiter, ein dritter, ein vierter folgten. Die Männer stürzten hinein, andere drängten nach, und auch sie schrien auf. Ein erregtes Stimmengewirr erhob sich im Hause, immer wieder von Schreien unterbrochen. Endlich kam einer zurück, riss die Arme hoch und stieß laut ein paar Worte hervor, nur wenige. Da stöhnte die Menge auf, und man sah nur noch fassungslose, entsetzte Gesichter.
Wir standen immer noch unter dem Tor, das so tief war wie der Schalenwall, den die hohen Palisadenzäune bildeten. Im Licht der lodernden Feuer im Burghof sahen wir die Hochzeitsgesellschaft in größter Verwirrung. Alle schrien auf einmal durcheinander, rannten umher, schlugen die Hände vor das Gesicht, rangen die Arme. Was der Mann der Menge zugerufen hatte, musste etwas Furchtbares sein.
Auch jetzt achtete niemand auf uns.
„Mir scheint“, bemerkte Odo, wobei er kein Auge von den Vorgängen im Burghof ließ, „die sind jetzt nicht in der Lage, eine Gesandtschaft des großen Karl zu empfangen.“
„Offensichtlich“, erwiderte ich. „Wir kommen mal wieder ungelegen. Was mag da drinnen passiert sein?“
„Ahnst du es nicht?“
„Ich habe keine Erfahrung mit Brautnächten.“
„Manchmal soll es dabei zu Überraschungen kommen.“
„Dahinten sehe ich einen von unseren Filzhüten“, sagte Helko. „Befehlt Ihr, dass ich ihn herbringe?“
„Ja, hol ihn her“, erwiderte Odo.
Im nächsten Augenblick schleppte Helko Sparuna herbei.
Der grauhaarige Obodrit setzte die Füße wie ein Betrunkener, obwohl er ja gerade erst nüchtern vom Pferd gestiegen war.
„Was ist da los?“, riefen wir ihm entgegen.
„Großes Unglück, großes Unglück!“, jammerte er. „Knes Ratibor – tot.“
7. Kapitel
Ich überspringe die restlichen Stunden dieser Nacht. An Einzelheiten kann ich mich auch kaum noch erinnern. Es herrschte ein großes Durcheinander, und vielleicht hatten wir Glück, weil man uns nicht gleich umbrachte. Später erfuhr ich, dass einige Wenden in dieser Nacht geglaubt hatten, die bösen Geister, die sie so lautstark vertreiben
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