Toedliche Brautnacht - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Erster Roman
werden. Die Hütten aus geflochtenem Astwerk, mit Lehm verkleidet und mit Binsen gedeckt, duckten sich in den Schatten eines Höhenzuges, der zu den nördlichsten Ausläufern des Harzgebirges gehörte. Auch meine Familie besaß eine solche Hütte, und obwohl sie nur einen einzigen fensterlosen Raum umschloss, kam sie mir doch allzu groß vor, seit meine Mutter und mein Bruder gestorben waren.
Nachdem ich aufgestanden war, versorgte ich als Erstes meinen Vater, der fiebernd auf seinem Strohlager ruhte. Seit dem vergangenen Winter war seine Gesundheit ernstlich angegriffen: Anhaltende Schwäche und Gelenkschmerzen plagten ihn, und mittlerweile hatte sich ein trockener Husten zu den übrigen Plagen gesellt. Ich gab ihm Wasser und versprach, auch Ziegenmilch zu bringen, sobald ich die Schweine in den Wald geführt und Zeit zum Melken haben würde.
„Habt keine Sorge, Herr Vater“, sagte ich, legte die Hand auf seine Stirn und bemühte mich, kein Erschrecken angesichts der Hitze seiner Haut zu zeigen. „Ich schaffe die Arbeit schon allein.“
In der Tat bewirtschaftete ich den Hof seit Monaten, wenn auch mehr schlecht als recht, mit der Kraft meiner eigenen jungen Hände. Im Mai hatte ich in mühevoller Arbeit mit unserer einzigen Kuh den Acker gepflügt, im Juli das Heu eingebracht, im August das Getreide geerntet. Wir hatten nur wenig zu essen, und oft blieb mir nichts anderes übrig, als zum Mittagsmahl eine Schüssel Getreidebrei mit Milch anzurühren. Es war mir klar, dass wir in diesem Jahr kaum in der Lage sein würden, unserem Grundherrn die Steuer zu entrichten, denn es gab so gut wie nichts, was wir zurücklegen konnten.
Mein Vater seufzte, als habe er denselben Gedanken, zeigte jedoch ein schwaches Lächeln.
„Mein großer Junge“, flüsterte er und unterbrach sich, als ein Hustenanfall seine nackte Brust schüttelte. Ich wartete geduldig und zugleich gerührt, denn nur selten hatte er in letzter Zeit das Wort an mich gerichtet. „Ich bin so froh, dass der Herrgott dich mir erhalten hat. Du bist ein guter Junge, Odo. Ich bete jeden Tag für dich.“
Sosehr mich dieses Lob erfreute, fühlte ich doch Angst in mir aufsteigen, denn es klang wie ein Abschiedswort. Ergriffen nahm ich seine Hand, die rauh und trocken war, voller Falten und Schwielen von vierzig Jahren Feldarbeit.
„Auch ich bete für Euch, Herr Vater“, sagte ich und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme wankte. „Und wenn Gott meine Gebete hört, wird er auch Euch erhalten.“
Mein Vater seufzte, lehnte sich zurück und ließ seine Hand aus der meinen sinken. Bis heute frage ich mich, ob er an jenem Morgen ahnte, dass etwas Schreckliches geschehen würde.
„Denk daran, die Schweine in den Wald zu treiben“, flüsterte er mit veränderter Stimme.
Ich nickte, griff nach der Weidengerte und ging zur Tür unseres Hauses.
Draußen schien bereits die frühe Herbstsonne, so dass ich die Augen beschatten musste, als ich ins Freie trat. Rasch umrundete ich das Haus und ging auf den kleinen Stall zu, ein windschiefes Gerüst aus verwittertem Holz mit einem Gatter aus geflochtenem Astwerk. Die Schweine scharrten und grunzten bereits, denn sie wussten, welches Tagwerk ihnen anstand: In dem kleinen Wäldchen auf der Ostseite des Dorfes waren jüngst die Eicheln und Bucheckern gefallen, und die Schweine würden bis zum Abend zwischen den Bäumen umherstreifen und sich an den Leckerbissen mästen. Hinter ihnen stand Christa, unsere einzige Kuh, und warf bei meinem Anblick freudig den schweren Kopf in die Höhe. Auch sie erwartete ein angenehmer Tag, der in nichts anderem bestehen würde als dem ruhigen Abweiden des Klees auf unserem Brachfeld. Allein ich würde von früh bis spät zu arbeiten haben, und wie so oft ertappte ich mich dabei, meine vierbeinigen Hausgenossen zu beneiden: Das Heu musste gewendet werden und das Wintergetreide gesät, die Ziege musste gemolken werden und das Federvieh gefüttert, und wenn nach all dem noch Zeit blieb, war es gewiss klug, ein wenig Holz zu schlagen, um mit der Anlage eines Vorrats für den Winter zu beginnen.
Seufzend ergriff ich das Gatter, als mich vom benachbarten Haus eine helle Stimme anrief.
„Gott zum Gruß, Odo!“
Ich wandte mich um und erblickte Gunde, die Frau unseres Nachbarn Hartmut, die hinter dem Gartenzaun stand und die herabgefallenen Früchte ihres Apfelbaums auflas.
„Gott zum Gruß, Frau Nachbarin“, erwiderte ich höflich und konnte nicht umhin, innezuhalten und zu
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