Tödliche Ernte
in der Badewanne entspannte. Wie sollte ich meine Gefühle für Jake auf die Reihe kriegen?
Das wusste ich nicht. Doch als ich endlich den Stöpsel zog, wurde mir klar, dass ich besser mal mit meiner früheren Professorin sprechen sollte, Dr. Barbara Beliskowitz, einer forensischen Psychiaterin. Ich war vielleicht nicht ganz schlecht darin, das abnorme Verhalten mancher Leute zu analysieren, aber Barbara war die Beste unter den Besten.
»Herein, herein«, sagte Barbara mit ihrer tiefen, honigweichen Stimme. Sie schenkte mir ein breites Lächeln, bei dem die Zähne blitzten, und das sich einen Weg bis in ihre grauen Augen bahnte.
Als ich in eines der riesigen Sofas in ihrem mit Kunst gefüllten Wohnzimmer sank, sog ich die Ruhe des Raumes ein. Ich fühlte mich großartig.
Nachdem wir uns gegenseitig auf den neuesten Stand gebracht hatten, forschte sie nach meinen Empfindungen Blessing und seinem Selbstmord gegenüber.
»Wut«, sagte ich. »Reue, weil er tot ist. Und Angst natürlich. Ich bin diesen Gefühlen noch nicht wirklich nachgegangen.«
»Gut so. Dann steck sie erst mal weg.«
»Wird gemacht.« Ich gab ihr eine Zusammenfassung der Geschichte mit Della und Chesa, Arlo und Mrs Cheadle sowie Elizabeth, Angela und Moira. »Die Polizei glaubt, dass sie es mit organisiertem Organhandel zu tun hat. Dass diese Organe mit Profit weiterverkauft werden.«
Barbara schenkte uns Kaffee nach. »Und du?«
»Ich stimme zu, dass Organe verschwinden, vor allem Augen. Die Polizei, das fbi , dumm sind die nicht. Aber die hören das Wort ›Mafioso‹, und dann verlieren sie manchmal die Perspektive. Sie gehen davon aus, dass Harry Pisarro mit diesen Verbrechen zu tun hat.«
»Und du nicht?«
»Eine Zeit lang schon. Aber inzwischen? Obwohl die meisten der Vorfälle gut vorbereitet waren, waren doch die Wut und die Leidenschaft des Killers sehr heftig. Und ich verstehe nicht, wieso ihnen das entgeht.«
Sie verschränkte die Hände. »Und für dich stehen all diese Todesfälle miteinander in Verbindung?«
»Ich glaube, man muss es so sehen. Sowohl Elizabeth als auch Moira wurde etwas abgehackt. Wie es aussieht, wurde die Mumie sogar mit einer Kettensäge malträtiert. Das, was mich irritiert, sind der Eifer und die Leidenschaft. Menschen, die Augen wegen des Profits vertickern, werden nicht durch ihre Gefühle motiviert.«
»Dem kann ich nur zustimmen. Also ein Serienmörder, hast du dir gesagt.«
»Genau. Der die Organe vielleicht als eine Art Trophäe an sich genommen hat?«
»Möglich. Das ließe auf persönliche, psychotische Motive schließen. Dieser Killer hätte dann vollständig den Bezug zu der üblichen Bedeutung verloren, die Menschen in seinem Leben haben. Denk nur mal über die Verhältnismäßigkeit nach. Wie stark seine Raserei und seine Paranoia ausgeprägt sind. Der Zusammenhang zwischen alldem.«
»Ja«, stimmte ich zu. »Diese Gefühle wie Zorn und Paranoia müssen schon psychotische Ausmaße angenommen haben. Und gleichzeitig steht er losgelöst von den Ursachen da.«
»Ganz klar«, sagte Barbara. »Vergiss nicht, dass Augen dich beobachten.«
»Ja«, sagte ich. »Sie blicken einem in die Seele.«
»Wenn er ihre Augen herausschneidet und behält, dann behält er einen ganz bestimmten Teil von ihnen, um sie zu besitzen und für sich zu haben.«
»Eine reiche Ernte. Ja.« Ich lehnte mich zurück. Ich konnte Blessing deutlich vor mir sehen. Den Schweiß, der ihm in großen Perlen auf der Stirn stand und übers Gesicht rann. Wie er die Münze warf. Ich fühlte, wie seine Hand zitterte, als er mir die Pistole an die Schläfe hielt. Ich schmeckte Galle.
»Tally?«
»Entschuldige, ich … Blessing hat an diesem Abend eine Menge Sachen zu mir gesagt. Aber eines geht mir nicht aus dem Kopf. Seine Worte waren: ›Shel kennt denselben Schmerz, so nah und persönlich.‹ Der alles überragende Schmerz in Blessings Leben war die Ermordung seiner Tochter.«
»Ah. Dann ist dieser Shel vielleicht auch vom Schmerz einer Ermordung erfasst worden.«
»Genau! So habe ich Blessings Worte verstanden. Dass ein Angehöriger von diesem Shel ebenfalls Opfer eines Mordes geworden ist. Dieser Shel könnte der Killer sein oder der Drahtzieher hinter Blessing.«
»Ganz schön unheimlich«, sagte Barbara.
»Wem sagst du das. Kann es bei der Macht, die dieser Kerl über Frauen hat, sein, dass er extrem gut aussieht?«
»Wie Ted Bundy. Sicher. Der war ein Charmeur. Er könnte aber auch ein ganz unattraktiver Mann sein,
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