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Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung

Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung

Titel: Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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1976. Die beiden Jungen stehen in kurzen Hosen am Absperrzaun und sehen sich um. Die Patres scheinen ihre Abwesenheit noch nicht bemerkt zu haben.
    Sie lauschen. Kinderstimmen vom nahe gelegenen Wanderpfad, das Schäckern einer Elster, der eigene hektische Atem. Sie klettern am Zaun empor, zweieinhalb Meter und mehr. Schwingen ihre Beine über den Rand und lassen sich mit einem unterdrückten Prusten auf der anderen Seite ins Gras fallen. Sie rennen zum Kohlebunker, einer flachen Holzbaracke, äugen durch ein Fenster. Der Schuppen ist leer, bis auf ein paar verstreute Taschentücher und etwas, das wie ein Kondom aussieht. Sie rennen weiter zum Förderturm der Kleinzeche, einer maroden Holzkonstruktion, die bedrohlich über ihnen aufragt wie die Takelage eines Geisterschiffs. In dem dahinterliegenden Verschlag befindet sich der Eingang zum Schacht. Die Jungen schleichen hinüber und verharren ehrfürchtig vor der Tür. Der Rost hat den Griff und die Scharniere größtenteils zerfressen, in der Maserung des verrotteten Holzes sind noch Reste von grünem Lack erkennbar.
    »Mach schon!«, hört der Große eine fordernde Stimme hinter sich. Er streckt die Hand aus und berührt das Holz. Mit einem dumpfen Prasseln gibt der Boden unter ihren Füßen nach und lässt den Schacht einstürzen.
     
    »Mach schon!«, hörte Kanther Siegfrieds Stimme hinter seinem Rücken. Er rieb sich die Schläfen. Mit dem Flashback verebbte auch das Gefühl des freien Falls. Sie hatten das Papierlager umrundet, von der falschen Seite her, und das hatte sie wertvolle Zeit gekostet. Kanther sah auf die Uhr: kurz nach sechs. Hoffentlich lebte Nora noch.
    Jetzt standen sie vor dem Seiteneingang, dessen Tür mit ihren Farbrückständen Kanther soeben an eine andere Tür im Weitmarer Holz erinnert hatte. Genau wie vor fast fünfundzwanzig Jahren bebte er vor Furcht.
    Kanther zog am Griff. Das scharfe Kreischen der Scharniere fuhr durch die Stille. Von drinnen schlug ihnen eine feuchte, muffige Kälte entgegen. Der Schriftsteller und der Drachentöter betraten das Papierrollenlager der alten Druckerei Dondorf.  
    Sechs Uhr und sechs Minuten.
    *
    Gisbert Grauvogel benötigte nur wenige Sekunden, um Kanthers Türschloss mit seinem Schweizer Offiziersmesser zu knacken.  
    Er trat in den Flur, zog die Tür hinter sich zu – und sein Magen schrumpfte zusammen wie ein löchriger Ballon. Es sah aus, als hätte hier ein Kampf stattgefunden. An der Wand über der Kommode hingen noch die Überreste eines Spiegels, der größte Teil davon lag in Scherben auf Boden und Kommode verstreut.
    Gisbert zog einen Gummihandschuh über, wischte ein paar Scherben vom Deckel des Anrufbeantworters und betätigte die PLAY-Taste.
    »Eine alte Nachricht. Nachricht eins. Heute fünf Uhr vierzehn«, dozierte eine synthetische Frauenstimme.
    »Herr Kanther? Nora Winter hier. Ich bin bei Krüger. Kennen Sie die alte Druckerei Dondorf? Hinter dem Bockenheimer Depot?«
    Gisbert hörte den Rest der Nachricht an. Er griff in die Jackentasche und holte sein Handy und das kleine schwarze Büchlein heraus. Er blätterte bis zur Seite mit der Überschrift Wilfried . Dann wählte er die daneben gekritzelte Telefonnummer. Das Telefonat dauerte nur wenige Sekunden. Sein Gesprächspartner klang sehr aufgebracht, begriff jedoch, dass die Zeit drängte. Nachdem Gisbert den einträglicheren seiner beiden Aufträge erfüllt hatte, rief er Gideon Richter an.
    » Wo soll die sein, die Druckerei Dondorf?«, fragte sein Kollege irritiert vor dem Hintergrund des immer wieder aufflackernden Knisterns aus seinem Funkgerät.
    »Keine Ahnung, irgendwo hinter dem Bockenheimer Depot.«
    »Soweit ich das beurteilen kann, Gisbert, gibt es da nur Unigebäude, von einer Druckerei in dieser Gegend hab ich noch nie was gehört.«
    »Frag mal eine der Streifen, die bei dir sind, vielleicht kennen die sich im Stadtteil aus.«
    Richter bedankte sich und legte auf.  
    Grauvogel rief Hartmann an, der ihn anwies, ebenfalls nach Bockenheim zu fahren und Richter zu unterstützen.
    Ein letztes Mal sah Grauvogel sich um. Es hatte ihn schon immer gereizt, zu erfahren, wie so ein Schriftsteller eigentlich lebte. So wie es hier aussah, hatte dieser wohl mit mehr als nur einem inneren Dämon zu kämpfen.
    *
    Richter rief die Streifenpolizisten über Funk zusammen. Einer der Kollegen klärte ihn auf, dass das Gebäude der Musikhochschule einstmals die Druckerei Dondorf gewesen war. Er zeigte auf den Backsteinschlot, der

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