Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung
Beobachter seinen Bericht fort. »Es taucht jemand vom Seiteneingang her auf. Ein ziemlich großer Mann, beleibt, dunkle Brille, dunkelblonde Haare.«
»Das ist Kanther«, bestätigte Richter.
»Ist er das Ziel?«, fragte der SEK-Leiter.
Richter schüttelte den Kopf. »Nein, das Ziel ist der Mann hinter der Schreibmaschine. Den müssen wir erwischen.«
Der SEK-Leiter gab die Information an seine Kollegen weiter. Jedem, auch den Männern mit den Präzisionswaffen auf dem Dach, war klar, was Richter mit dem Wort ›erwischen‹ ausdrücken wollte.
»Gut, dass der Kerl an einer Schreibmaschine und nicht am Klavier sitzt«, meinte der SEK-Leiter mit einem kalten Lächeln.
Richter stutzte.
»Es heißt doch immer: Schießen Sie nicht auf den Pianisten!«
*
Kanther näherte sich mit vorsichtigen Schritten dem Zentrum der Halle. Er sah sich gründlich um, es schien ihm lebenswichtig, sich alle Details einzuprägen. Der raue Boden war notdürftig betoniert worden, an manchen Stellen blitzte noch das Originalkopfsteinpflaster aus dem neunzehnten Jahrhundert hervor. Auf acht Stahlpfeilern, deren grüner Lack stellenweise abblätterte, ruhten schwere Eisenträger, die in dreieinhalb Metern Höhe das Dach trugen. Etwas ver-setzt zur Mitte der Halle hatte Krüger eine strahlend weiße Bühne errichtet. Sie grenzte nicht nur an einen der Tragpfeiler, sondern der Pfeiler selbst war ein integraler Bestandteil der Bühnenaufbauten. Krüger hatte einen kleinen Holzschemel an den Pfeiler geschoben und die hinteren Beine mit Kabelbindern daran fixiert. Auf dem Schemel hockte Nora Winter, unverkennbar, auch wenn ihr Gesicht fürchterlich zugerichtet war. Ihr rechtes Auge war komplett zugeschwollen, die ganze rechte Gesichtshälfte sah aus wie ein einziger dunkelroter Bluterguss. Strähnen ihres blonden Haars waren an einigen Stellen mit dunklem Blut verklebt und hingen ihr wirr ins Gesicht. Silbernes Tape verklebte ihren Mund. Sie schlotterte vor Kälte, Angst und Erschöpfung.
Krüger muss sie schwer misshandelt haben, dachte Kan-ther und hoffte inbrünstig, ihr Entführer habe sie nicht auch noch missbraucht. Ihre Hände waren hinter dem Pfeiler gefesselt und die Füße an den vorderen Stuhlbeinen mit Kabelbindern fixiert. Nora trug nur einen Slip und ein Unterhemdchen. Unter dem dünnen Stoff des Oberteils zeichneten sich deutlich Noras Brustwarzen ab. Kanther schämte sich für diese Beobachtung und lenkte seinen Blick schnell auf ihren Hals. Dort nahm er das fingerdicke blaue Seil in Augenschein, das sich eng um ihren Adamsapfel wand. Beide Enden des Seils verschwanden hinter dem Stützpfeiler in einem silbernen Kasten von den Ausmaßen eines dicken Buches. Auf dem Dach dieses Kastens thronte eine Halbkugel aus milchigem Glas in der Größe einer Schneekugel, deren Kontrolllampe rot leuchtete.
Kanther wandte seinen Blick von Nora ab und ihrem Entführer zu. Er musste sich an diesem Ort sehr sicher fühlen: Krüger hatte den kleinen Campingtisch und den dazugehörigen Stuhl so vor der Bühne platziert, dass er beinahe mit dem Rücken zum Seiteneingang saß. Wie wollte er auf diese Art sehen, wer die Halle betrat und wer sie verließ?
Krüger hatte seine Füße in die Stuhlbeine eingehakt und einen Moment lang sah es so aus, als sei er dadurch an seine Bühne ebenso gefesselt, wie Nora an ihre. Das mechanische Klappern der Typenhebel, die bei jedem von Krügers Anschlägen aus der Olivetti hervorschnellten wie Skorpionstachel, hallte durch den Saal. Kanther hatte dieses Geräusch schon viele Jahre nicht mehr gehört. Es löste einen nostalgischen Schauer in ihm aus.
Er machte ein paar geräuschvolle Schritte auf Krüger zu; keinesfalls wollte er ihn erschrecken. Plötzlich verstummte die Schreibmaschine und Krüger drehte sich zu ihm um. Er sah aus, wie der Darsteller aus einem billigen Horrorfilm: dunkle Schatten unter den Augen, bleiche Haut. In seinen rastlosen Augen flackerten Angst und Hass. Siegfried hatte Recht behalten: Der Mann an der Schreibmaschine hatte vermutlich nächtelang nicht geschlafen. Das machte ihn umso gefährlicher.
Krüger sah auf den Kaffeebecher in Kanthers Hand. Der pulte den Deckel ab und der verführerische Duft von frisch gebrühtem Kaffee breitete sich aus. Wortlos bot er das Getränk an.
»Stellen Sie ihn da auf den Boden«, krächzte Krüger.
Kanther tat, wie ihm befohlen, und wich ein paar Schritte zurück.
Krüger ergriff die mattschwarze Pistole, die neben der Schreibmaschine
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