Toedliche Intrige
hatte ich noch nicht so recht wieder in Island Fuß gefasst. Vielleicht hatte ich auch die Sache mit Lydia noch nicht ganz überwunden. Ich weiß es nicht. Ich weiß bloß, dass Bettý vom allerersten Augenblick an so auf mich wirkte, als müsste ich sie kennen lernen, mit ihr zusammen sein und mit ihr schlafen. Dazu hat sie das Ihre beigetragen, durch ihre Art, sich zu kleiden, durch das, was sie sagte und wie sie es sagte. Durch den Kuss in ihrem Haus in Reykjavik. Vom ersten Moment an hatte sie massiv mit mir geflirtet, dennsie wollte mich für sich, sie wollte mich auf ihre Seite ziehen; sie hatte es auf mich abgesehen. Sie verfolgte eine ganz bestimmte Absicht. Damals wusste ich es natürlich nicht, aber jetzt.
Und ich ging ihr völlig auf den Leim.
Was habe ich mir dabei gedacht? Bettý war Tómas' Frau und meine Geliebte. Habe ich wirklich geglaubt, dass Bettý und ich bis ans Ende unserer Tage glücklich miteinander sein würden? War ich so kindisch? War ich so geblendet? Habe ich tatsächlich geglaubt, sie würde ihn verlassen und mit mir leben?
Diese Fragen stürmen auf mich ein, wenn ich in der Dunkelheit daliege. Und andere, die nicht weniger Verzweiflung und Ängste verursachen. Wusste sie bereits über mich Bescheid, als sie den Vortragssaal betrat? Wusste sie, dass ich lesbisch war? Wie hatte sie das herausgefunden? Hat sie Erkundigungen über mich eingezogen? Hatte sie lange nach einem dankbaren Opfer wie mir gesucht? Denn ich bin ein Opfer. Ich bin das Opfer in diesem Drama.
Ich starre in die Finsternis.
All diese Fragen.
Ich vermisse meinen Vater mehr, als ich sagen kann. Er war mein bester Freund, und einem verständnisvolleren Menschen bin ich nie begegnet. Solange ich zurückdenken kann, ist er mein Vorbild gewesen, seine wohlwollende Art, seine Klugheit und sein Mitgefühl mit Menschen, die im Leben zu kurz gekommen waren. Die Vorstellung, dass er noch miterlebt hätte, in was ichmich hineinverstrickt habe und was ich tat, ist grauenvoll. Oder was ich nicht tat. In erster Linie aus Pietät vor seinem Andenken versuche ich, heil und mit einem Rest Würde aus dem Ganzen herauszukommen. Der Gedanke an ihn lässt mich in dieser grauenvollen Gefängniszelle bei Verstand bleiben.
Ich bin eingeschlossen und allein mit allen diesen schwer zu ertragenden Gedanken, und im Stundenglas sinkt jeweils nur ein einziges, fast unsichtbares Sandkorn so langsam herab, dass ich es auf den leeren Boden schweben sehe.
Allmählich wird mir immer klarer, was tatsächlich geschehen ist. Nicht das, was ich mir einbildete, weil ich es mit eigenen Augen sah und davon wusste, sondern all das, was vor sich ging, ohne dass ich es sah oder etwas davon wusste. So langsam durchschaue ich, wie alles zusammenhing und dazu angetan war, ihr in die Hände zu arbeiten. Ich gebe mir selber die Schuld daran und weiß, dass es kaum mildernde Umstände für mich gibt. Ich habe aus freien Stücken daran teilgenommen, aber ich hätte es nicht getan, wenn ich geahnt hätte, was dahinter steckte.
Die Polizei weiß, was geschah, als Tómas über mich herfiel. Sie haben mich im Verhörzimmer danach gefragt. Das bedeutet, dass Bettý mit dem, was sie anstrebt, durchkommen wird.
Niemand hat gewusst, was Tómas mir angetan hat, nur ich und Tómas und Bettý.
19
L árus und Dóra sitzen mir im Verhörraum gegenüber. Zu Dóra habe ich eine gewisse Verbindung aufbauen können. Sie ist wahrscheinlich ganz in Ordnung. Ich habe das Gefühl, dass sie mir glaubt, und das kann ich wahrhaftig brauchen, einen Menschen, der glaubt, was ich sage. Sie nimmt mich, wie ich bin, und macht sich nichts vor. Lárus hat eine ganz andere Einstellung zu mir. Ich weiß es. Ich spüre es. In seinen Augen bin ich nicht nur die Mörderin, sondern noch dazu die Lesbe, und das findet er wohl pervers.
Also richte ich meine Worte an sie.
Sie stellen mir dauernd Fragen nach der Vergewaltigung. Sie wissen, dass Tómas über mich hergefallen ist und mir Gewalt angetan hat. Sie kennen einige Details, und ich versuche, nicht rot zu werden, versuche, mir keinerlei Reaktion anmerken zu lassen. Der Gedanke daran, dass ein Mann wie Lárus Bescheid weiß, ist schlimm genug. Ich schäme mich noch immer, wenn ich zurückblicke und daran denke, was passiert ist. Ich weiß, dass ich nicht so denken soll. Es war nicht meine Schuld, aber das hilft mir keineswegs, den Ekel loszuwerden.
»Weshalb hast du die Vergewaltigung nicht angezeigt?«, fragte Dóra. »Weshalb hast du so
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