Toedliche Intrige
auf den »Angriff« zu sprechen kam. Tómas wusste natürlich davon, aber ich bin überzeugt, dass er es nie jemandem gegenüber erwähnt hat. Ich wusste sehr gut, was Bettý im Schilde führte. Alles, was sie bis zu diesem Zeitpunkt unternommen hatte, war in jeder Hinsicht durchkalkuliert gewesen. Ich hatte noch keine Vorstellung, wie ich mich verteidigen sollte, sondern hatte die längste Zeit versucht, so zu tun, als wüsste ich von nichts, trotz allem. Trotz der Situation, in der mich die Polizei überraschte, und trotz allem, was zwischen Bettý und mir bis dahin vorgefallen war. Dielängste Zeit weigerte ich mich, mich dazu zu äußern. Ich war müde, ich hatte Angst und ich verspürte unendliche Trauer.
»Willst du damit sagen, dass diese Vergewaltigung eine Lüge von Bettý ist?«, fragte Lárus. »Dass gar keine Vergewaltigung stattgefunden hat?«
Ich schaute ihn an.
»Genau«, sagte ich. »Es hat keine Vergewaltigung stattgefunden. Ihr dürft nicht alles glauben, was Bettý sagt.«
»Bist du dir da ganz sicher?«, fragte Dóra.
In ihrer Stimme schwang Anteilnahme mit, und darüber freute ich mich. Vielleicht war sie imstande, sich in meine Situation hineinzuversetzen, wie es war, vergewaltigt zu werden und nachher sagen zu müssen, dass gar nichts vorgefallen war. Vielleicht ahnte sie, wie mir zumute war. Ich musste fast würgen.
»Und sie ist nicht der Grund dafür, dass du Tómas Ottósson Zöega umgebracht hast?«, fuhr Lárus fort.
»Ich habe keine Ahnung, worüber du redest«, sagte ich.
»Warum in aller Welt sollte Bettý deiner Meinung nach diese Vergewaltigung erfunden haben?«, fragte Dóra.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Seid ihr fertig? Seid ihr fertig für heute? Ich möchte wieder in meine Zelle, wenn ihr nichts dagegen habt.«
»Du gehst, wenn wir fertig sind«, sagte Lárus.
»In Ordnung«, sagte Dóra. »Du kannst jetzt gehen.«
»Das finde ich ni...«, begann Lárus.
»Wir können morgen wieder mit ihr reden«, sagte Dóra resolut. »Wir haben Zeit genug.«
Ich liege im Finsteren und denke an Bettý. Erst nach der Vergewaltigung fingen wir wirklich ernsthaft an zu überlegen, ob er einem Unfall zum Opfer fallen könnte. Ob es eine Möglichkeit gab, irgendeinen Unfall zu inszenieren, um ihn loszuwerden.
Aber dann ist da noch dieser grauenvolle Gedanke, der mich nicht loslässt.
Konnte Bettý so infam sein, dass sie diese Falle zu Hause bei sich für mich konstruiert und ihn regelrecht auf mich angesetzt hatte? Bislang hatte ich der Tatsache keine Bedeutung zugemessen, dass sie es gewesen war, die mich an dem Tag anrief und mir ausrichtete, dass Tómas mich zu Hause bei sich treffen wollte.
Ich schließe die Augen.
Blut spritzt aus Tómas' Kopf.
Das nächste Mal sah ich Tómas, als er nur noch wenige Minuten zu leben hatte.
20
I ch sehe die Szene vor mir, als es geschah. Sie gleicht einem schneeweißen Albtraum.
Ich wage nicht, die Augen zu schließen. Ich starre in die Dunkelheit und versuche, an etwas anderes zu denken. Manchmal gelingt es. Meistens aber nicht.
Ich will mich nicht daran erinnern. Ich will es irgendwo vergraben, wo niemand daran rühren kann, nicht einmal ich selber. In mir gibt es Fächer, die ich nur ganz selten öffne, manche sogar nie. Ich möchte das alles in ein solches Fach schieben, bis es von selber verschwunden ist. Am liebsten würde ich es austilgen. Nein, am liebsten wollte ich, dass es nie geschehen wäre.
Aber es ist geschehen.
Und es verschwindet nicht.
Ich lasse es nur in kleinen, zusammenhanglosen Bruchstücken an die Oberfläche. Es hatte fast den Anschein, als hätte ich das Geschehen in die Luft gesprengt, und Splitter davon irrten umher, verletzten mich und stachen mich, wenn ich am wenigsten darauf gefasst war. Mein Gesicht verzerrt sich zu einer Grimasse, ich stöhne oder halte mir die Hände vors Gesicht. Manchmalweine ich, wenn diese Splitter, die mich stechen, so viele werden, dass ich unwillkürlich aufschreie.
Ich sehe, wie sie zum Hieb ausholt.
Ich schreie sie an, es nicht zu tun.
Er schaut zu mir herüber, er geht in die Knie und sinkt in den Schnee.
Kurze Zeit später standen wir beide am Rand einer großen Lavaspalte und schauten auf ihn hinunter, der vier Meter tiefer lag. Er schaute mich an und schien mir etwas sagen zu wollen. Seine Lippen bewegten sich, und er streckte eine Hand zu uns hoch. Sein Kopf war ganz blutig, und der Schnee unter ihm rötete sich. Er hatte gar nicht begriffen, was geschehen
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