Tödliche Jagd
Unteroffizier erschien, rief meinem
Bewacher etwas zu, der mich mit einem Tritt gegen das Bein auf den Weg
schickte.
In der Baracke kam ich auf einen langen
Gang mit vielen Türen. Wir blieben vor der letzten stehen, und
nach einer Weile ging sie auf und St. Claire wurde herausbegleitet. Wir
hatten keine Möglichkeit, miteinander zu sprechen, weil mich ein
junger Offizier ins Zimmer winkte.
Der Mann hinter dem Schreibtisch trug die Uniform
eines Obersten der Armee der Volksrepublik China; vermutlich handelte
es sich um den von St. Claire erwähnten Chen-Kuen.
Seine schlauen, freundlichen Augen in dem
bronzefarbenen Gesicht blitzten kurz auf; die wohlgeformten Lippen
verrieten Humor. Er faltete eine Zeitung auseinander und hielt sie so,
daß ich sie sehen konnte. Wie am Datum ersichtlich, handelte es
sich um den Londoner Daily Express von vor fünf Tagen. Englischer Kriegsheld in Vietnam gefallen lautete die Schlagzeile auf der ersten Seite.
»An dem Tag ist wohl sonst nichts weiter passiert. Sauregurkenzeit«, sagte ich.
Sein Englisch war ausgezeichnet. »Das glaube ich weniger. Alle haben diese Story gedruckt, sogar die Times. «
Dabei hielt er ein Exemplar hoch. »Es gelang den Reportern sogar,
Ihren Großvater zu einem Interview zu bewegen. Hier steht, der
General sei von tiefer Trauer erfüllt, aber auch stolz.«
Darüber mußte ich laut lachen. Ganz ernst fuhr der Oberst fort:
»Ja, mir kam es ebenfalls etwas seltsam vor,
wenn man seine tiefe Abneigung gegen Sie bedenkt. Beinahe krankhaft.
Ich frage mich nur: Warum?«
Bei dieser so treffenden Bemerkung erstarrte mir
beinahe das Blut in den Adern, doch so leicht ließ ich mich nicht
ins Bockshorn jagen. »Und was stellen denn Sie eigentlich dar?
Können Sie etwa Gedanken lesen?«
Er nahm eine Akte vom Schreibtisch.
»Alles über Ellis Jackson. Hier drin. Wir müssen uns
bei Gelegenheit einmal über Eton unterhalten. Ich habe mich schon
immer sehr für dieses Schulkonzept interessiert. Das in Sandhurst
war sicherlich ein tragischer Unglücksfall. Und Ihnen hat man die
Schuld in die Schuhe geschoben.« Er seufzte, als ob ihn das alles
persönlich berührte. »Ziemlich am Anfang meines
Studiums in London habe ich einen Roman von Ouida gelesen, in dem der
Held, ein unehrenhaft entlassener Gardeoffizier, in die
französische Fremdenlegion eintritt. Es scheint, als habe sich
seither nichts geändert.«
»Stimmt genau. Ich bin hier, um die Familienehre wiederherzustellen.«
»Trotz der Tatsache, daß Ihnen die
Vorstellung, zur Armee zu gehen, verhaßt war? Sie haßten
alles, was mit Militär zu tun hat. Oder hassen Sie nur Ihren
Großvater?«
»Schöne Theorie, die Sie da haben.
Andererseits habe ich noch niemanden kennengelernt, der ein gutes Wort
für ihn übrig hatte.«
Als ich sein Lächeln, seinen zufriedenen Blick
sah, hätte ich mir selbst in den Hintern treten können. Ich
war bereits dabei, ihm von mir aus persönliche Dinge zu
erzählen. Er muß meine Gedanken geahnt haben, denn er
drückte den Klingelknopf auf dem Schreibtisch und erhob sich.
»General St. Claire hat, soweit ich weiß, mit Ihnen kurz gesprochen?«
»Das ist richtig.«
»Ein bemerkenswerter Mann – vielseitig
begabt, aber arrogant. Sie können mit ihm eine Zeitlang die Zelle
teilen.«
»Ein einfacher Soldat zusammen mit einem
Lamettaträger wie ihm? Könnte mir vorstellen, daß ihm
das nicht so behagt.«
»Mein lieber Ellis, unsere Gesellschaftsform
macht keine solchen Unterschiede zwischen Menschen. Er muß das
begreifen lernen und Sie auch.«
›Ellis‹. Es war
für mich ein seltsames, unangenehmes Gefühl, mit meinem
Vornamen angesprochen zu werden. Viel zu vertraut unter diesen
Umständen, aber ich konnte nichts dagegen unternehmen. Die
Tür ging auf, und der junge Offizier kam herein.
Chen-Kuen lächelte liebenswürdig und legte
mir die Hand auf die Schulter. »Schlafen Sie, Ellis –
schlafen Sie sich richtig aus, und dann werden wir uns weiter
unterhalten.«
Was hatte St. Claire über ihn gesagt? Ein sehr netter Mensch. Vielleicht
der Vater, den ich nie hatte. Bei diesem Gedanken spürte ich einen
Kloß in der Kehle. Jedenfalls mußte ich in Zukunft
aufpassen – höllisch aufpassen, und ich war heilfroh,
daß ich nicht länger in diesem Raum bleiben mußte.
Auf dem Weg nach Tay Son hatten wir zweimal in Bergdörfern
übernachtet. Ich wurde mit einem Seil um den Hals an den Pranger
gestellt als
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