Tödliche Jagd
trank,
weil ich mich strikt auf Kaffee, Tee oder Mineralwasser
beschränken mußte.
Wir besuchten Versailles, gingen in den Wäldern
von St. Germain spazieren, wo wir unter einer Buche vor einem
Regenschauer Schutz suchten.
Helen war einige Jahre älter als ich, eine
vitale, schöne Frau, die ganz in ihrem Beruf aufging, und ich
verliebte mich in sie. Dann kam die schlimme Woche, in der wir allein
waren, da St. Claire unerwartet nach Washington fliegen mußte.
Ich begehrte sie heftiger als jede andere Frau zuvor, verspürte
ein ständiges Verlangen, das nie nachließ. Allein schon ihre
Gegenwart bereitete mir tausenderlei kleine Höllenqualen.
Wenn ich sah, wie sie sich setzte, aufstand, in der
Wohnung herumlief, sich streckte, um etwas aus einem hohen Regal zu
holen, der Saum des himmelblauen Kleides, das sie damals so gerne
anzog, fünfzehn Zentimeter höher rutschte … aber sie
war St. Claires Schwester, und ich hatte deshalb so etwas wie
moralische Bedenken.
Schließlich blieb ihr nicht länger
verborgen, daß mich etwas bedrückte, denn sie sah, wie ich
mir meinen ersten Drink einschenkte, einen kleinen Scotch; sie hatte
mir einige Tage zuvor grünes Licht dazu gegeben, weil sie zu der
Ansicht gekommen war, ich sei kein Alkoholiker.
Sie fragte mich, was mit mir los wäre, und ich
beichtete es ihr; meine Neigung, alles zu dramatisieren, ließ
mich daraus eine bühnenreife Szene machen. Als ich meinen Monolog
beendet hatte, lächelte sie vieldeutig, nahm mich an der Hand und
führte mich in ihr Schlafzimmer.
Was danach geschah, empfand ich als die
tiefste Demütigung, die man mir zufügen konnte. Wie
große Mühe ich mir mit mei nen Zärtlichkeiten auch gab,
sie bewirkten bei ihr nicht das geringste. Sie liebkoste mich auf eine
ruhige, unpersönliche Art, küßte mich zwar aus echter
Zuneigung, doch sonst war nichts. Ich verschaffte mir schließlich
mein Vergnügen, wenn man es so bezeichnen will, und fühlte
mich danach hundsmiserabel.
Nach drei solchen Nächten hatte ich genug. Sie
war eine bildschöne, hochintelligente Frau, einer der seltenen
Menschen, die wirklich Anteil nehmen am Schicksal anderer. Vielleicht
lief bei ihr alles auf geistiger Ebene ab, so daß ich bei ihr
nicht fand, was ich als Bestätigung suchte, brauchte, wobei ich
nicht sagen kann, wofür.
Ich floh vor ihr zurück nach London, in mein
altes Dasein, klammerte mich an einen Rettungsanker namens Sheila Ward
und verkam jeden Tag ein bißchen mehr in den Marschen von
Foulness.
Ich wurde in einen Raum im Erdgeschoß gebracht, der
früher einmal ganz offensichtlich ein kleiner Salon gewesen war,
stilvoll eingerichtet, vergoldeter Spiegel über dem offenen Kamin
und weiße und blaue Wedgwood-Porzellanteller an den Wänden.
Sean saß hinter einem modernen
Büroschreibtisch. Aber nicht der Schreibtisch, die Sessel,
Bücherregale und Aktenschränke paßten nicht so recht in
dieses Zimmer, sondern die Gitterstäbe an den hohen Fenstern, die
in der Morgensonne schräge Schatten auf den Teppich zeichneten.
»Deins?« fragte ich.
Sean nickte. »Gefällt mir sehr gut, aber
wir können hier ohne Genehmigung nicht einmal eine Steckdose
einsetzen lassen. Das ganze Gebäude steht unter
Denkmalschutz.« Worauf er kurze Zeit schwieg und dann mit
Nachdruck hinzufügte: »Schau, Ellis, ich bin doch auf deiner
Seite. Klar?«
»Hab' ich auch nie bezweifelt, oder? Hol ihn jetzt rein, damit wir's hinter uns bringen.«
Ich ging ans Fenster, blickte hinüber zu den
Buchen jenseits der Rasenfläche. Krähen stiegen in der klaren
Luft hoch und landeten wieder. Typisch englische Herbststimmung da
draußen jenseits der Gitterstäbe.
»Hallo, Ellis!« rief Hilary Vaughan zur
Begrüßung. »Haben uns lange nicht mehr gesehen.«
Er war wieder in Uniform; sein rotes Barett leuchtete
in der Sonne. Er war durch eine Tür in der getäfelten Wand
hereingekommen, die mir zuvor nicht aufgefallen war und die nun
offenstand.
»Lange, seit wann?« fragte ich zurück.
»Du warst doch in meinem letzten Jahr in Eton mein Laufbursche, oder hast du das vergessen?«
»Es gab da ein Arschloch namens Chambers«,
erwiderte ich. »Spielte in der ersten Mannschaft. Hat uns mit dem
KricketSchläger verprügelt, wenn wir seiner Meinung nach
nicht flott genug waren. Du hast ihn einmal erwischt, als er mir eine
Tracht Prügel verabreichte, und ihm das Nasenbein
gebrochen.«
»Hat sich nicht ausreden lassen, die Bank
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