Tödliche Jagd
dir
passiert, und brauchst deswegen keine Angst zu haben. Du hast
unheimliches Schwein gehabt. Bei der Dosis, die du genommen hast,
wären die meisten Menschen jetzt entweder tot oder unheilbar
geisteskrank.«
»Du warst mir schon immer ein großer Trost.«
Er lächelte mir mitfühlend zu,
was mich unter den gegebenen Umständen verwunderte. »Ruh
dich etwas aus. Ich glaube nicht, daß du jetzt schon für ein
Verhör fit bist. Major Vaughan ist hier. Er hofft, sich mit dir
unterhalten zu können, aber ich kann ihm jederzeit die Erlaubnis
dazu verweigern.«
»Nicht nötig«, entgegnete ich ihm und
stand auf. »Ich möchte es so bald wie möglich hinter
mich bringen. Ich hab' schon immer die volle Wahrheit wissen wollen,
oder hast du das vergessen?«
»Wie du willst. Das ist die beste Einstellung.
Ich gehe jetzt hinunter und sage ihm Bescheid. Du kommst mit Flattery
nach, aber laß dir ruhig Zeit.«
Flatterys Hand hielt meinen Arm immer noch ganz sachte, und ein
paarmal siezte er mich sogar. Welch eine Kehrtwendung, die er da
vollführte. Er ging mit mir am Lift vorbei den Gang entlang,
schloß am anderen Ende eine Tür auf und schob mich hindurch.
Ich stand auf einer schmalen Stahlbrücke an der Hinterfront des
Hauptgebäudes, die über den Hof führte und
offensichtlich dazu diente, den Weg hinüber in den Ostflügel
abzukürzen. Sie war mit Plexiglas überdacht, seitlich aber
offen und nur mit einem einen Meter hohen Geländer gesichert.
Die helle Morgensonne blendete mich. Ich senkte
deshalb den Blick, als ich hinüberging, und bekam den Schock
meines Lebens, als St. Claires gelber Alfa Romeo zwanzig Meter unter
mir auf den Hof fuhr.
Ich tastete nach dem Geländer, hielt mich daran
fest und wartete; das Herz klopfte mir bis zum Hals. Die Autotür
ging auf, lange, hübsche Beine, ein sündhaft teurer
Leopardenfellmantel erschienen, und dann stand sie neben dem Auto,
einen ledernen Aktenkoffer in der Hand. Groß, selbstbewußt
und schön – ihre Haut nicht so dunkel wie die von St.
Claire, typisches Kraushaar, auf das sie aber unheimlich stolz war.
Sie sah zufällig hoch, erkannte mich
und rief sogleich auch meinen Namen. Ich schloß die Augen,
endgültig davon überzeugt, daß die ganze Welt
verrückt geworden war, und fiel beinahe über das
Geländer.
Helen St. Claire war der ganze Stolz ihres Bruders. Intelligenz
gepaart mit Schönheit, wie er es gerne ausdrückte. Ich kannte
ihren Lebenslauf in- und auswendig, lange bevor ich sie kennenlernte.
Abschluß des Medizinstudiums mit Auszeichnung, danach
Spezialisierung auf Allgemeine Psychiatrie und schließlich
Verhaltenstherapie bei Kindern.
Wir waren einander allerdings nie begegnet, bis zu
jenem denkwürdigen Augenblick, als St. Claire mich vor dem Pub in
der Milner Street an der Wand lehnen sah, als er auf der
Bildfläche erschien, um mir ein zweites Mal das Leben zu retten.
Am Tag darauf wurde er in Paris zurückerwartet,
wo er ein hohes Tier im Hauptquartier des NATO-Geheimdienstes in
Versailles war, und er ließ sich nicht davon abbringen, mich
mitzunehmen in seine Wohnung in Auteuil mit der großen,
freischwebenden Terrasse über der Seine, von der aus Paris einen
atemberaubenden Anblick bot.
Helen wohnte damals bei ihm – arbeitete in einer
Kinderklinik und sammelte in ihrer Freizeit an der Sorbonne Material
für eine Dissertation, von der er mir aus irgendeinem Grund nie
etwas erzählt hatte. Sie war auf meinen Besuch auch nicht
vorbereitet; als wir an jenem Abend ankamen, wollte sie gerade ausgehen
und wartete auf ihren Begleiter, einen siebzigjährigen, aus
Österreich stammenden Professor für Pharmapsychiatrie an der
Sorbonne, wie sich herausstellte.
Die beiden waren rührend um mich besorgt. Helen
nahm sich einen Monat frei und tat nichts anderes, als sich wie eine
Glucke um mich zu kümmern. In der ersten Woche ließ sie mir
keine einzige Gelegenheit, auch nur einen Schluck Alkohol zu trinken;
danach hatte ich kaum noch Verlangen nach diesem Teufelszeug, ich sah
zehn Jahre jünger aus und aß auch wieder.
Dann setzte eine andere Form der Therapie
ein: Kultur von früh bis spät. Jeden Tag wurde von ihr etwas
Neues geplant. Was es in Paris an Sehenswürdigkeiten gibt, haben
wir gesehen. Kirchen, Museen, Galerien, jedes Gebäude, das in
irgendeinem Führer mit einer Fußnote bedacht ist.
Zwischendurch nahmen wir in einem Straßencafé kleine
Mahlzeiten ein, bei denen sie auf meinen Wunsch hin Champagner
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