Tödliche Küsse
Morse?«
»Live-Reportage«, erklärte er ihr fröhlich. »Bitte, treten Sie ins Licht, Lieutenant, damit unsere Zuschauer Sie sehen können.«
Ohne ihn aus den Augen zu lassen, machte Eve – wie er es von ihr verlangte – noch einen Schritt nach vorn.
Sie war schon viel zu lange fort, dachte Roarke und merkte, dass das Plaudern mit den Gästen ihm auf die Nerven ging. Offenbar hatte das Gespräch mit Angelini sie mehr mitgenommen, als ihm bewusst gewesen war, und nun tat es ihm Leid, dass er so sanft mit Marco umgesprungen war.
Er wollte verdammt sein, wenn er sie weiter grübeln ließe oder tatenlos mit ansah, wie sie sich mit Selbstvorwürfen quälte. Also musste er sie entweder zum Lachen bringen oder aber reizen, bis ihre Niedergeschlagenheit verflog. Lautlos glitt er aus dem Zimmer und ließ das Licht, die Musik und die fröhlichen Stimmen hinter sich zurück. Das Haus war viel zu groß, um sie einfach zu suchen, aber eine Frage würde reichen, um zu wissen, wo sie sich im Augenblick befand.
»Eve«, sagte er, sobald Summerset aus einem Raum zu seiner Rechten ins Foyer geglitten kam.
»Sie ist gegangen.«
»Was soll das heißen, sie ist gegangen? Wohin?«
Da sich bereits bei der Erwähnung ihres Namens Summersets Nackenhaare sträubten, zuckte er bloß mit den Schultern. »Das kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass sie aus dem Haus gelaufen, in ihren Wagen gestiegen und davongefahren ist. Sie hielt es nicht für nötig, mich darüber aufzuklären, was sie vorhatte.«
Roarkes Stimme wurde scharf. »Spielen Sie keine Spielchen mit mir, Summerset. Warum ist sie gegangen?«
Beleidigt presste Summerset die Lippen aufeinander. »Vielleicht aufgrund des Anrufs, den sie kurz vorher bekommen hatte. Sie hat ihn in der Bibliothek entgegengenommen.«
Roarke machte auf dem Absatz kehrt, marschierte entschlossen in Richtung des genannten Raums, öffnete die Tür, trat vor den Schreibtisch und spulte an den Anfang des letzten Link-Gesprächs zurück.
Er lauschte den Stimmen und starrte auf den Bildschirm, während seine bisher leichte Sorge sich zu ehrlichem Entsetzen steigerte. »Gütiger Himmel, sie will sich mit ihm treffen. Sie will sich ganz alleine mit ihm treffen.«
Er war bereits im Flur, als er noch einmal über seine Schulter brüllte: »Summerset, geben Sie diese Information an Chief Tibble weiter – aber so, dass es niemand anders hört.«
»Obgleich unsere Zeit recht knapp bemessen ist, Lieutenant, bin ich sicher, dass unsere Zuschauer mit allergrößtem Interesse den Abschluss Ihrer Ermittlungen verfolgen.« Ohne das Messer von Nadines Kehle abzusetzen, blickte Morse weiter freundlich lächelnd in die Kamera. »Eine Zeit lang haben Sie eine falsche Spur verfolgt und standen, glaube ich, sogar im Begriff, einen unschuldigen Mann für die Verbrechen eines anderen einsperren und vor Gericht stellen zu lassen.«
»Morse, warum haben Sie sie getötet?«
»Oh, meine Beweggründe habe ich für zukünftige Sendungen ausführlich dokumentiert. Sprechen wir also lieber über Sie.«
»Sie müssen sich schrecklich gefühlt haben, als Ihnen klar wurde, dass Sie Louise Kirski ermordet hatten statt wie beabsichtigt Nadine.«
»Das hat mir tatsächlich zu schaffen gemacht. Louise war eine nette, ruhige Frau, die wusste, wo ihr Platz war. Aber es war nicht meine Schuld. Es war Ihre und Nadines Schuld, weil Sie mich ködern wollten.«
»Sie wollten Publicity.« Sie warf einen Blick auf das rot glühende Lämpchen, das zeigte, dass die Kamera beständig lief. »Die bekommen Sie im Augenblick ganz sicher. Aber das hier nimmt Ihnen jede Möglichkeit zur Flucht, Morse. So kommen Sie nie mehr aus diesem Park heraus.«
»Oh, machen Sie sich keine Sorgen, ich habe einen Plan. Und wir haben nur noch ein paar Minuten Zeit, bevor wir der Sache ein Ende machen müssen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information. Ich möchte, dass sie diese Hinrichtung live miterleben kann. Dass sie mit ansehen kann, was Sie verschuldet haben und wie Sie für Ihre Sünden büßen.«
Eve blickte auf Nadine. Sie war ihr ganz sicher keine Hilfe. Die Frau stand nicht nur unter Schock, sondern wahrscheinlich zudem unter dem Einfluss irgendwelcher Drogen. »So leicht wie Nadine kriegen Sie mich nicht.«
»Dafür werde ich mit Ihnen mehr Spaß haben.«
»Wie haben Sie Nadine erwischt?« Die Hände deutlich sichtbar neben ihrem Körper, den Blick starr auf sein Gesicht gerichtet, trat sie etwas näher an ihn heran. »Sie müssen
Weitere Kostenlose Bücher