Tödliche Küsse
mache, schlafe ich immer vorher ein paar Stunden. Ich hatte keinen eigenen Bericht, also gab es auch nicht viel vorzubereiten. Ich hätte nur ein paar Sachen lesen und Ereignisse des Tages zusammenfassen sollen. Gegen sieben habe ich mit ein paar Freunden zu Abend gegessen, und gegen acht bin ich nach Hause gefahren und habe mich schlafen gelegt.«
Er stützte seine Ellenbogen auf den Tisch und vergrub den Kopf zwischen den Händen. »Um zehn hat mein Wecker geklingelt, und kurz vor elf habe ich mich auf den Weg gemacht. Wegen des Wetters bin ich extra etwas früher losgefahren. Mein Gott, mein Gott, mein Gott.«
Hätte Eve ihn nicht wenige Minuten, nachdem er die Leiche entdeckt hatte, vor der Kamera gesehen, hätte sie vielleicht tatsächlich so etwas wie Mitgefühl gehabt. »Haben Sie am Tatort oder in der Nähe irgendjemanden gesehen?«
»Nur Louise. Um diese Uhrzeit sind nicht mehr viele Leute unterwegs. Nein, ich habe niemanden gesehen. Nur Louise. Nur Louise.«
»Okay, C. J. das war’s für heute.«
Er stellte das Glas abrupt auf den Tisch. »Soll das heißen, ich kann gehen?«
»Vergessen Sie nicht, dass Sie ein Zeuge sind. Falls Sie irgendwelche Informationen zurückhalten oder sich vor der Kamera an irgendwas erinnern, was Sie während dieses Gesprächs vergessen haben, zeige ich Sie wegen Unterschlagung von Beweismaterial und Behinderung polizeilicher Ermittlungen an.« Sie schenkte ihm ein Lächeln. »Oh, und geben Sie mir doch bitte noch die Namen Ihrer Freunde, C. J. Es überrascht mich, dass Sie anscheinend welche haben.«
Sie ließ ihn gehen und blieb grübelnd sitzen, während nach Nadine geschickt wurde. Das Szenario war klar. Mit dieser Erkenntnis kamen die Schuldgefühle mit aller Macht zurück. Um sie nicht wieder abebben zu lassen, schlug sie die Akte auf, sah sich die Fotos von Louise Kirskis Leiche an und drehte sie erst um, als Nadine in der Tür erschien.
Jetzt sah sie nicht mehr perfekt aus. Der strahlende Kameraprofi hatte sich in eine bleiche, erschütterte Frau verwandelt, deren Augen vom Weinen rot und geschwollen waren und deren Lippen bebten. Wortlos winkte Eve in Richtung eines Stuhls und schob ein frisches Wasserglas über den Tisch.
»Sie haben ziemlich schnell über die Sache berichtet«, erklärte sie mit kühler Stimme.
»Das ist nun mal mein Job.« Statt das Glas zu nehmen, verschränkte Nadine die Hände fest in ihrem Schoß. »Sie machen Ihren Job, und ich mache den meinen.«
»Genau. Und wir beide stehen stets im Dienst der Öffentlichkeit, nicht wahr?«
»Es interessiert mich nicht besonders, was Sie im Moment von mir denken, Dallas.«
»Um so besser, denn im Moment halte ich von Ihnen nicht besonders viel.« Zum zweiten Mal schaltete sie den Recorder ein und sprach die vor Gesprächsbeginn erforderlichen Informationen auf das Band. »Wann haben Sie Louise Kirski zum letzten Mal lebend gesehen?«
»Wir haben zusammen im Schneideraum gesessen und einen Beitrag für die Spätnachrichten zusammengestellt. Es dauerte nicht so lange, wie wir gedacht hatten. Louise war gut, wirklich gut.« Nadine atmete tief ein und starrte weiter reglos auf einen Flecken oberhalb von Eves Schulter. »Wir unterhielten uns noch kurz. Sie und der Mann, mit dem sie seit ein paar Monaten zusammen war, suchten gemeinsam eine Wohnung. Sie war glücklich. Louise war ein fröhlicher, umgänglicher Mensch, sie hat gern und oft gelacht.«
Sie musste aufhören, musste einfach aufhören. Ihr Atem stockte, und sie holte zweimal tief und langsam Luft. »Tja, sie hatte keine Zigaretten mehr. Zwischen den einzelnen Aufträgen, die sie bekam, hat sie immer mal gern ein paar Züge geraucht. Alle haben so getan, als würden sie es nicht bemerken, wenn sie in irgendeiner Abstellkammer verschwand und sich ihren Glimmstengel angezündet hat. Ich habe sie gebeten, mir auch ein paar Zigaretten mitzubringen und ihr ein paar Credits gegeben. Wir fuhren zusammen runter, und ich ging in den Nachrichtenraum. Ich musste noch ein paar Anrufe erledigen. Andernfalls hätte ich sie begleitet. Andernfalls wäre ich bei ihr gewesen.«
»Sind Sie beide regelmäßig gemeinsam vor den Spätnachrichten noch aus dem Haus gegangen?«
»Nein. Normalerweise war ich diejenige, die eine kurze Pause machte, um in diesem kleinen Café in der Third Avenue noch in Ruhe einen Espresso zu trinken. Vor allem vor den Spätauftritten genieße ich es, wenn ich noch kurz aus dem Sender herauskomme. Wir haben ein Restaurant, Sitzecken
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