Tödliche Liebe: Roman (German Edition)
wenig zerschlagen nach diesem nicht vorgesehenen Nickerchen, dachte sie sich. Doch als sie auf die Armbanduhr starrte, weiteten sich ihre Augen. Sie hatte fast eine Stunde lang geschlafen.
Was für eine alberne Zeitverschwendung, meinte sie zu
sich selbst und stand aus dem Sessel auf, um ihren steifen Körper zu lockern. Geh an deine Arbeit, sagte sie sich entschlossen und begann, sich das Jackett ihres Kostüms abzustreifen, während sie sich wieder dem Schreibtisch zuwandte.
Dort standen zwei Rosen, deren perfekt zusammenpassende Blüten wie Speere aus einem mitten auf ihrem Schreibtisch stehenden Wasserglas in die Luft ragten. Sofort von einem Gefühl der Ablehnung erfüllt, ging sie auf die Rosen zu, schaute sich im ganzen Raum um, blickte schließlich auch dorthin, wo sie vorhin die einzelne Rose hingestellt hatte. Sie war nicht länger da. Sie steht jetzt auf meinem Schreibtisch und hat sich dort zu ihrem Gegenstück gesellt, dachte sie matt.
Sie rieb sich mit dem Handballen über das Brustbein, während sie die Rosen weiter anstarrte. Vielleicht war das ja Cassie gewesen, dachte sie. Oder Simon oder Jeff oder Margaret. Irgend jemand hatte so spät vielleicht noch gearbeitet, irgendwo die zweite Rose gefunden, sie hereingebracht und mit der ersten in ein Wasserglas gestellt. Und als die Person gesehen hatte, daß sie schlief, hatte sie die beiden Rosen einfach auf ihrem Schreibtisch zurückgelassen.
Irgendwer hatte gesehen, daß sie hier schlief. Ein Schauer lief durch ihren Körper, ließ ihre Beine ganz schwach werden. Allein und schutzlos hatte sie hier geschlafen. Als sie gegen die Armlehne ihres Sessels sackte, fiel ihr Blick auf die Videokassette auf ihrer Kladde. Am Etikett des Herstellers konnte sie erkennen, daß diese Marke von Videokassetten nicht für die Show verwendet wurden.
Dieses Mal gab es keinen Brief. Vielleicht war ein Brief ja auch gar nicht nötig. Sie dachte daran, einfach wegzulaufen, Hals über Kopf aus dem Büro zu stürmen. Die Nachrichtenredaktion würde jetzt besetzt sein. In der Schicht zwischen den Abend- und Spätnachrichten herrschte dort Hochbetrieb.
Sie war nicht allein.
Ein Telefonanruf würde reichen, um die Männer vom Sicherheitsdienst herbeizurufen. Eine Fahrt mit dem Fahrstuhl könnte sie in die hektische Betriebsamkeit ein paar Stockwerke tiefer befördern.
Nein, sie war nicht allein, und es gab auch keinen Grund,
Angst zu haben, aber jede Menge Gründe, das Band abzuspielen.
Sie wischte sich die feuchten Handflächen an den Hüften ab, bevor sie die Kassette aus ihrer Hülle nahm und in die Öffnung des Videorecorders gleiten ließ.
Nachdem sie auf die Abspieltaste gedrückt hatte, zeigten die ersten paar Sekunden nur den leeren, blauen Bildschirm. Die Stirn vor Konzentration gerunzelt, beobachtete Deanna, wie flackernd ein Bild entstand. Sie erkannte das Gebäude, in dem sie sich befand, hörte das Rauschen des Verkehrs, ein paar Leute tänzelten in Hemdsärmeln auf dem Gehsteig vorbei, was auf warmes Wetter hindeutete.
Sie sah sich selbst durch die Außentür kommen, ihre Haare fielen ihr über die Schultern. Benommen hob sie eine Hand und strich mit den Fingern durch die kurzen Locken. Sie beobachtete, wie sie auf die Uhr schaute. Jetzt holte die Kamera ihr Gesicht ganz nah heran, ihre rauchgrauen Augen verrieten Ungeduld. Sie konnte das gräßliche Geräusch des unregelmäßigen Atems des Kameramannes hören.
Ein Lieferwagen der CBC kam angerast. Das Bild wurde ausgeblendet.
Ein neues Bild entstand. Sie spazierte mit Fran eine belebte Straße entlang, hatte die Arme voller Einkaufstüten, trug diesmal einen dicken Pullover und eine Wildlederjacke. Als sie ihren Kopf wandte, um Fran anzulachen, erstarrte das Bild und blieb auf ihr lachendes Gesicht eingestellt, bis es sich auflöste.
Mehr als ein Dutzend Sequenzen waren zu sehen, Bruchstücke aus ihrem Leben: ein Ausflug zum Wochenmarkt, ihre Ankunft bei einer Wohltätigkeitsfeier, ein Bummel durch den Water Tower Place. Sie spielte mit Aubrey im Park, gab in einem Einkaufszentrum Autogramme. Mittlerweile hatte sie kurze Haare, ihre Garderobe markierte den Wechsel der Jahreszeiten.
Die ganze Zeit wurde der Film untermalt vom Geräusch ruhigen Atmens.
Die letzte Sequenz zeigte sie, wie sie sich im Sessel ihres Büros zusammengerollt hatte und schlief.
Dann begann der Bildschirm zu rauschen. Lange noch starrte Deanna auf die tanzenden Punkte. Die Angst war wieder da, ließ ihr das Blut in den Adern
Weitere Kostenlose Bücher