Tödliche Liebe: Roman (German Edition)

Trance geraten konnte – einen Bewußtseinszustand, der den Kopf freihielt für Ideen, für Möglichkeiten.
    Finn hatte ihn so sehr verärgert, daß seine Gefühle begannen, sich in seinen Verstand einzumischen. Der Mann hätte ihm von allen Einzelheiten seines Gesprächs mit Pike berichten sollen. Wie unbedeutend es auch immer gewesen war, es war Angelegenheit der Polizei. Die Vorstellung, daß Finn Pike ohne ihn befragt hatte, stieß Jenner bitterer auf als der Kaffee der Wache.
    Er erinnerte sich an ihr letztes Treffen, das am Morgen nach dem Mord an Pike stattgefunden hatte.
     
    »Wir können davon ausgehen, daß der Mörder Miss Reynolds kennt.« Jenner hob einen Finger. »Er wußte von ihrer Affäre oder wenigstens von ihrem Streit mit Pike.« Er hob einen zweiten Finger. »Er oder sie kennt Deannas Adresse, kannte die von Pike und verfügte über ausreichende Kenntnisse, um nach dem Mord an Angela die erforderlichen Einstellungen an der Kamera vorzunehmen.«
    »Einverstanden.«
    »Die Briefe sind unter Deannas Tür, auf ihrem Schreibtisch, in ihrem Auto und in ihrem Apartment, das sie noch in Old Town unterhält, aufgetaucht.« Jenner hatte eine Braue hochgezogen und hoffte, Finn würde irgendeine Erklärung für diesen interessanten Umstand liefern. Doch dem war nicht so. Finn wußte, wie man Information für sich behält.
Das war eine seiner Eigenschaften, die Jenner bewunderte. »Es muß jemand gewesen sein, der bei der CBC arbeitet«, schloß Jenner.
    »Theoretisch einverstanden.« Finn lächelte, als Jenner ein verärgertes Schnauben von sich gab. »Es könnte also jemand sein, der dort arbeitet . Es ist auch möglich, daß es ein Fan von Deanna ist, der irgendwann einmal im Studio war. Ein ganz normaler Zuschauer aus dem Publikum. Viele Leute haben genügend Basiswissen über das Fernsehen, um eine Kamera so zu bedienen, daß sie eine Standaufnahme macht.«
    »Ich glaube, jetzt übertreiben Sie ein bißchen. Es könnte übrigens auch eine Frau sein.«
    Finn ließ das eine Weile auf sich wirken, dann schüttelte er den Kopf. »Das ist denkbar, aber nicht sehr wahrscheinlich. Vielleicht sollten wir das einen Moment beiseite lassen und es mit der folgenden Theorie versuchen: Es ist ein Mann, ein einsamer, frustrierter Mann. Er lebt alleine, aber jeden Tag spaziert Deanna durch die Mattscheibe in sein Wohnzimmer. Dann sitzt sie da mit ihm, spricht zu ihm, lächelt ihn an. Wenn sie da ist, ist er nicht einsam. Am liebsten hätte er sie die ganze Zeit bei sich. Mit Frauen kommt er nicht gut klar. Er fürchtet sich ein wenig vor ihnen. Er kann gut planen, geht wahrscheinlich einer anständigen Arbeit nach, hat vielleicht sogar einen verantwortungsvollen Posten, da er weiß, wie man ein Problem zu Ende denkt. Er ist gründlich und sehr genau.«
    Beeindruckt kräuselte Jenner die Lippen. »Das klingt ganz so, als hätten Sie Ihre Hausaufgaben gemacht.«
    »Das habe ich auch. Ich denke, ich verstehe den Täter, weil ich Deanna liebe. Er neigt zu Wutanfällen, hat allerdings nie getötet, wenn er wütend war. Ich glaube, das hat er immer ganz kaltblütig getan.« Und genau das ließ Finn das Blut in den Adern gefrieren. »Aber er hat mein Haus und Deannas Büro verwüstet, schreibt sein Gefühl, verraten worden zu sein, an die Wand. Und irgendwann wird er das mit Blut schreiben wollen. Auf welche Weise hat sie ihn verraten? Was änderte sich in der Zeit zwischen dem ersten Brief von ihm und dem Mord an Angela?«
    »Hat sie da nicht mit Ihnen angebändelt?«
    »Sie war mit mir über zwei Jahre lang zusammen.« Finn beugte sich vor. »Unsere Verlobung, Jenner! Kurz nach der offiziellen Bekanntgabe unserer Verlobung kam es zu dem Mord an Angela und zu den Einbrüchen.«
    »Er brachte also Angela um, weil Deanna Reynolds ihn wütend machte?«
    »Er brachte Angela und Pike um, weil er Deanna Reynolds liebt. Wie könnte er seiner Verehrung besser Ausdruck verleihen als dadurch, daß er die Leute aus dem Weg räumt, mit denen sie Meinungsverschiedenheiten hat oder über die sie sich ärgert? Er zerstörte ihre Sachen, wobei er besondere Sorgfalt darauf verwandte, die Entwürfe der Brautkleider, die Zeitungsberichte über die Verlobung und die Fotos von Deanna und mir zu vernichten. Er war außer sich vor Wut, weil sie öffentlich verkündet hatte, daß sie einen anderen Mann vorzog und bereit war, als Beweis dafür ein feierliches Versprechen abzulegen.«
    Jenner nickte und kritzelte auf seinem Blatt Papier herum.