Toedliche Luegen
aufrichtig leid für Sie“, stieß Ferrard hervor, Mitgefühl heuchelnd.
„Ich kann Germeaux nicht zu einer Anzeige zwingen. Meine Güte, wie käme ich denn dazu? Wenn er selber es nicht für erforderlich hält, ist das seine Sache. Er dürfte alt genug für eine vernünftige Entscheidung sein.“
„Ich bedaure, Mademoiselle, so einfach können Sie sich das nicht machen. Es ist in seinem eigenen Interesse, die Polizei einzuschalten.“
„ Polizei? Was soll das heißen?“, fragte Beate misstrauisch.
„Dass er Anzeige gegen Unbekannt unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung erstatten muss.“
Mit diesen hingerotzten Worten brachte er Beates Fantasiewelt endgültig zum Einsturz. Sie zuckte heftig zusammen. Gefährliche Körperverletzung? Um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, rührte sie mit übertriebener Sorgfalt in ihrem Kaffee, legte den Löffel behutsam auf den Teller zurück und nahm einen vorsichtigen Schluck aus ihrer Tasse.
Was hatte das alles zu bedeuten? Worauf hatte sich Alain eingelassen, dass eine Auseinandersetzung – oder was immer auch passiert war – ausuferte und schließlich in derartigen Verletzungen gipfelte?
Da sie plötzlich das Gefühl hatte, es gar nicht wissen zu wollen, stellte sie die Tasse mit einem Ruck ab. Sie wollte sich nicht in irgendwelche nebulöse Familieninterna verwickeln lassen. Es ging sie nichts an. Sie hatte ihn gerettet, alles Weitere war Alains Sache. Und basta!
Ferrard genoss die schockierende Wirkung seiner Worte und beeilte sich, solange dieser begrüßenswerte Zustand bei Beate anhielt, zu wiederholen: „Germeaux wurde das Opfer eines äußerst brutalen, um nicht zu sagen perversen Spielchens, woran nach den beweissichernden Untersuchungen und aufgrund der sichtbaren und unsichtbaren Spuren an seinem Körper nicht der geringste Zweifel besteht. Sie sollten Ihrem Onkel begreiflich machen, dass er diese unumstößliche Tatsache akzeptieren muss. Einen schönen Tag noch.“
Wie betäubt von den Äußerungen des Chefarztes irrte Beate durch die Stadt. Seine Worte, rücksichtslos und hart, ohne jedes Mitgefühl geäußert, dröhnten und hämmerten dermaßen laut in ihrem Kopf, dass sie kaum etwas um sich herum wahrnahm.
Alain , dieses Musterbeispiel eines gefühlskalten, überheblichen und selbstverliebten Machos, strotzend vor Kraft und Energie, sollte das Opfer von brutalen Schlägern geworden sein? Unglaublich!
Trotzdem passte es irgendwie zu dem Bild, das sie sich in ihrer Fantasie von ihm gemacht hatte. Wahrscheinlich hatte er sich nicht allein ihr gegenüber so charmant wie ein Panzer verhalten. Hatte er möglicherweise jemanden nicht bloß mit Worten verletzt, sondern derart gegen sich aufgebracht, dass der jetzt auf diese Weise bittere Rache an ihm genommen hatte?
Es klang überzeugend.
Und irgendwie auch wieder nicht. Nicht so richtig zumindest. Warum ausgerechnet ein Hakenkreuz? Ließ das nicht eher auf eklatante, politische Meinungsverschiedenheiten schließen als auf einen kleinen, privaten Rachefeldzug? War Alain bei Neonazis in Ungnade gefallen? Dann musste er seinen Mund schon sehr weit aufgerissen haben, dass man ihm das angetan hatte. An seiner großen Klappe hegte Beate keinerlei Zweifel. Eine linke Gesinnung allerdings? Noch einmal: Unglaublich! Zumindest war es schwer vorstellbar bei einem Menschen, der mit einem silbernen Löffel im Mund zur Welt gekommen war.
Und wenn sie sich nun völlig in ihm täuschte? Wenn die haushohen Wellen der Arroganz und Kälte, die er aussandte, lediglich Fassade waren, hinter der sich ein ganz anderer Alain Germeaux versteckte?
Sie verwarf den Gedanken schneller noch, als er ihr gekommen war. Dieser verteufelt gut aussehende Mann würde sich sicherlich vor nichts anderem schützen müssen als vor liebestollen Frauen, die sich reihenweise nach ihm verzehrten. Eventuell auch vor der grausamen Rache gehörnter Ehemänner. Oder vor Klagen auf Unterhaltszahlung.
Sie spürte, wie ihre Ohren rot anliefen, und schämte sich für ihre Gedanken. Das war doch wirklich kein Spaß! Er ist fast draufgegangen dabei.
Aber i hre Grübeleien machten ohnehin keinen Sinn. Sie wusste schlicht und ergreifend zu wenig von Alain, um eine befriedigende Antwort auf ihre Fragen zu finden. Im Grunde genommen wusste sie reineweg gar nichts von ihm. Wenn jemand Licht in das Dunkel bringen konnte, dann Alain selber. Der allerdings würde sie bestimmt nicht an seiner Suche nach der Wahrheit teilhaben lassen.
Und sie
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