Toedliche Luegen
war in Gottes Namen auch nicht daran interessiert! Warum hatte sie keine Migräne vorgeschützt – oder Lepra – irgendwas, das sie daran gehindert hätte, das Büro des Chefarztes zu betreten.
Doch ließ ihr die Vorstellung von den grausamen Geschehnissen vor ihrer Ankunft in Paris keine Ruhe. Sicherlich war es sogar besser für Alain, wenn er sich an nichts mehr erinnerte. Was sollte eine Anzeige bei der Polizei bewirken, wenn er weder eine Täterbeschreibung noch irgendeine Aussage zum Tathergang machen konnte?
U nd überhaupt, was hatte Doktor Ferrards Bemerkung zu bedeuten, dass Alain „unter anderem“ wegen Körperverletzung Anzeige erstatten sollte? Weswegen denn noch? Und was hatte er mit den „unsichtbaren Spuren der Misshandlung und beweissichernden Untersuchungen“ gemeint? Dieser Zwerg hätte ruhig etwas deutlicher werden können.
Nein, sie würde Alain auf keinen Fall dazu drängen, zur Polizei zu gehen! Sie würde sich ganz im Gegenteil aus dieser Sache heraushalten und diesem aufgeblasenen Vollpfosten aus dem Weg gehen, um niemals mehr in die Verlegenheit zu kommen, mit ihm ein Wort wechseln zu müssen. Stattdessen würde sie sich jetzt in dieses Café setzen und einen verdammt starken Kaffee trinken.
1 1. Kapitel
„Ich bin so glücklich, dich endlich bei mir zu haben. Wie geht es dir, ma chère ?“
„Pierre …“
„Warte! Warte, ich habe dir etwas mitgebracht.“
Noch bevor sie zu Wort kam, hatte der Mann auf dem Absatz kehrtgemacht und war aus dem Zimmer geeilt, um Sekunden später mit strahlendem Gesicht wieder vor ihr zu stehen. In den Hä nden hielt er eine große, flache Schachtel, die er Beate entgegenhielt.
„Pierre, das ist sehr nett von dir, aber …“
„Nun mach schon auf, es ist für dich“, drängelte er ungeduldig.
Da sie ihrem Vater die Wiedersehensfreude nicht verderben wollte, nahm sie ihm behutsam die Schachtel ab. „Was ist das?“
Er hob in typisch französischer Manier die Schulter und ein unschuldiges Lächeln umspielte seinen Mund. „Sieh nach.“
Beate lugte vorsichtig unter den Deckel und hielt die Luft an. Ja, sie wagte nicht einmal zu blinzeln. Fasziniert strich sie über den seidigen Stoff, der aus der Schachtel quoll und sich als ein champagnerfarbenes, knöchellanges Kleid herausstellte. Es war schlicht geschnitten, mit dünnen Trägern und einem etwas gewagten Ausschnitt, wie sie fand, sonst jedoch ohne Firlefanz und Pomp, ganz so wie sie es liebte. Passende armlange Handschuhe und einen seidenen Schal warf Pierre Germeaux mit einer lässigen Geste über die Sessellehne, ohne dabei seine Tochter aus den Augen zu lassen.
„Es ist wunderschön“, hauchte sie. „Ich habe nie etwas Schöneres gesehen. Und besessen sowieso nicht. Und es ist wirklich für mich?“
„Ich glaube kaum, dass ich mich damit auf die Straße wagen würde.“
Voll Dankbarkeit fiel sie Pierre um den Hals und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
„Probier es an, g eh schon. Dann habe ich noch etwas für dich.“
Einen Moment hielt sie inne und blickte ihn schweigend an. Der bestimmende Ton, in dem er dies gesagt hatte, rief leisen Widerspruch in ihr wach, trotzdem ging sie ohne Erwiderung ins Badezimmer, wo sie sich das Kleid überzog und verblüfft in dem mannshohen Spiegel begutachtete. Sie hatte nicht ernsthaft damit gerechnet, dass Pierre nicht bloß ihren Geschmack, sondern ebenso ihre Kleidergröße richtig treffen würde. Er hatte wirklich ein bemerkenswertes Auge für Mode.
Und für Frauen.
Als sie aus dem Bad zurück in das Wohnzimmer trat, breitete ihr Vater begeistert die Arme aus. „Genau, wie ich es mir gedacht habe. Du siehst hinreißend aus, Beate. Ich könnte mir keine schönere Tochter wünschen. Und deshalb möchte ich dich bitten, mich heute zu begleiten.“ Mit diesen Worten und einer seiner formvollendeten Verbeugungen hielt er ihr einen Umschlag entgegen. „Mache mir die Freude, indem du meine Einladung annimmst.“
„Karten? Für d ie Oper?“, schrie sie begeistert auf. „Aber das ist … das ist der absolute Hammer! In die Pariser Oper! Ich werd’ verrückt.“
„Wir werden in zwei Stunden fahren. Wirst du bis dahin fertig sein können? Wenn du möchtest, lasse ich dir vorher einen kleinen Imbiss auf dein Zimmer schicken. Es wird spät werden. Hoffentlich hattest du heute keinen allzu anstrengenden Tag.“
Da fiel ihr siedend heiß ein, ebenfalls eine Neuigkeit für ihren Vater zu haben. Wie hatte sie das bloß vergessen
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