Tödliche Märchen
ein Abenteuer, nicht? Wir haben uns doch oft genug die Filme angesehen. Jetzt können wir ihre Schauermärchen hören. Sie will uns ja die Dinge erzählen, die sie im Fernsehen nicht sagen kann.«
»Bleibt nur noch Jason.«
Der stopfte den Rest seines Sandwiches in den Mund und kaute langsam. »Ich lasse euch nicht im Stich. Wenn sie sich wieder den Totenkopf aufsetzt, reißen wir ihr ihn herunter.«
Sie lachten, bis auf Nicole. Die fragte statt dessen: »Könnte der nicht echt gewesen sein?«
Ernie mußte lachen. »Wie das denn?«
»Vielleicht ist sie selbst aus dem Grab gekommen.«
»Zombie, wie?«
»So ähnlich.«
Der schrille Ruf der Klingel unterbrach das Gespräch der vier Kinder. Auf dem Weg zum Klassenzimmer versprachen sie sich noch einmal gegenseitig, zu niemandem ein Wort zu sagen. Die restlichen drei Stunden würden sie locker abreißen.
Das waren Fächer, die man mit links machte.
Auch nach Schulschluß gingen sie planmäßig vor. Sie warteten, bis die anderen Schüler den Physikraum verlassen hatten, und gingen dann langsam hinterher.
In der großen Schulhalle waren die Stimmern der aus dem Gebäude eilenden Schüler verstummt. Die Stille kehrte zurück, nur ab und zu unterbrochen von den hastigen Schritten eines nach Hause eilenden Lehrers.
Sie sahen auch noch den Mathe-Pauker. Er warf ihnen nicht einmal einen Blick zu.
Sie ließen ihn vorgehen und grinsten seinen Rücken an. Die doppelflügelige Tür stand weit offen. Kühle Luft flutete in das Gebäude. Am Himmel hatte die Sonne einen Teil der grauen Wolken abgelöst. Die vier Kinder wurden von den Strahlen geblendet. Sie sprachen nicht miteinander. Jeder von ihnen hatte ein schlechtes Gewissen, als hätten sie etwas Böses getan. Der Schulhof hatte sich mittlerweile geleert. Er gehörte noch zu den alten, die von einer Mauer umgeben waren. Als wäre nichts Besonderes geschehen, so schlenderten die vier Kinder über den Hof. Nicole hatten sie in die Mitte genommen. Sie war es auch, die fragte: »Ob sie wirklich kommt?«
»Das wird sich gleich herausstellen«, gab Ernie zurück. Sie hatten ausgemacht, daß die Kinder neben dem Schulhof an einer bestimmten Stelle warten sollten.
Noch war die Zeit nicht erreicht. Sie gingen durch das kleine Tor und stellten sich rechts davon auf. Sie standen jetzt an der Westseite der Schule, hier wohnte auch der Hausmeister, ein neugieriger Bursche, der auch immer einen Grund suchte, die Kinder von bestimmten Stellen zu verscheuchen. Im Augenblick ließ er sich nicht sehen. Nicole trat von einem Bein auf das andere. »Verflixt, mir ist kalt. Die Gardener hätte ruhig pünktlich sein können.«
Jason winkte ab. »Die fünf Minuten.«
»Auf dem Bildschirm verspätet sie sich nie.«
»Da kriegt sie es ja auch bezahlt.«
»Zu Fuß wird sie wohl nicht kommen«, bemerkte Tiggy. »Bin gespannt, was sie für einen Wagen fährt.«
»Bestimmt eine alte Schaukel«, meinte Ernie.
»Da kommt ein Rolls!« Nicole hatte den Satz gerufen. Sie deutete nach rechts, wo sich die lange Schnauze einer silberfarbenen Luxus-Karosse um die Ecke schob.
»Das wird sie bestimmt nicht sein«, meinte Tiggy. Er stieß Jason an.
»Oder ist sie auch zum Friefhof mit einem Rolls gekommen?«
»Nein. Ich habe wenigstens keinen gesehen.«
Die vier Freunde starrten den Wagen an, konnten aber nicht hineinsehen, weil die Scheiben getönt waren. Aber das Fahrzeug wurde langsamer und rollte an den Gehsteig. Neben den Schülern stoppte es.
»Das ist sie tatsächlich«, flüsterte Nicole, trat dabei einen kleinen Schritt zurück, als hätte sie Angst davor, in das Auto zu steigen. Ernie überwand sich als erster.
Er öffnete die Beifahrertür. Angenehme Wärme strömte ihm entgegen. Hinter dem Lenkrad saß die Frau, die sie auch vom Bildschirm her kannten — Grandma Gardener.
Sie nickte ihnen zu. »Entschuldigt, daß ich mich verspätet habe, aber jetzt bin ich da. Bitte, steigt ein. Wer möchte sich zu mir nach vorn setzen?«
Das tat Ernie.
Die anderen stiegen in den Fond. Sie nahmen auf der breiten Lederbank Platz. Keiner von ihnen hatte bisher in einem so großen Wagen gesessen. Ihr ehrfurchtsvolles Staunen war verständlich. Leise schwappten die breiten Türen wieder in die Schlösser. Grandma Gardener hatte sich gedreht und lächelte. »Ich freue mich, daß ihr gekommen seid.«
Sie bekam keine Antwort. Es war den Kindern anzusehen, daß sie sich nicht wohl fühlten.
»Wo fahren wir denn hin?« fragte Jason Finley
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