Tödliche Märchen
zwar nicht nur welche in unserer Sprache, auch Bücher aus anderen Ländern. Einige waren illustriert. Wenn ich mir die Zeichnungen anschaute, konnte ich mir gut ausmalen, was in den Geschichten vorkam.
Sie waren verdammt schlimm. Es waren Bilder zu sehen, wo Monster Kinder fraßen. Auch Folterszenen waren abgebildet. Tödliche Märchen…
»Hier ist sogar ein Prospekt über alte Häuser«, sagte Ruth und hielt ihn hoch.
Ich wollte mich schon abwenden, als es in meinem Hirn klickte. »Was sind das denn für Häuser? Etwa Gespenster-Burgen oder ähnliches?«
»Nein, ganz normale.« Sie warf mir den Prospekt rüber, den ich mit beiden Händen auffing und durchblätterte.
Es war ein Verkaufskatalog, in dem ein Makler Häuseranbot. Die Bauten lagen auf dem Land, sahen durchweg aus wie alte Gutsherrenhäuser und machten teilweise einen recht gepflegten Lindruck.
»Was will eine Frau wie Mrs. Gardener mit einem solchen Prospekt?« fragte Ruth.
»Ein Haus kaufen.«
»Natürlich.« Sie schlug gegen ihre Stirn. »Und welches?«
»Das läßt sich herausfinden«, sagte ich. »Die Häuser werden von einem Makler angeboten, der sein Büro hier in London hat. Zu ihm wird uns der nächste Weg führen.«
Ruth Finley nickte. Ihr Gesichtsausdruck allerdings sagte mir, daß sie nicht so sehr bei der Sache war und an etwas anderes dachte. »Was haben Sie?«
»Ich möchte eigentlich noch bei mir zu Hause vorbeifahren und mit Jason reden.«
»Das wäre auch für mich interessant. Vielleicht weiß der Junge doch mehr, als er in der Nacht hat zugeben wollen.«
Sie stand auf und lächelte knapp. »Versuchen wir es.«
Der Hausbewohner hatte vor der Tür gewartet. Er trug jetzt ein schwarzes Jackett. »Nun? Haben Sie etwas erreicht?«
»Es geht.«
Er schaute auf die Zeitschrift in meiner Hand und sah sich das Titelbild an. »Ich weiß ja nicht, worum es geht, aber kann das Zimmer jetzt weitervermietet werden?«
»Das dürfen Sie uns nicht fragen. Hat Mrs. Grissom Ihnen denn den Auftrag erteilt?«
»Nicht direkt, aber ich werde hier aufräumen. Sie gab mir zwanzig Pfund, damit ich nach dem Rechten schaue.«
»Dagegen habe ich nichts.« Wir verließen das Haus und gingen zu unserem Wagen. Ruth war sehr schweigsam. Wahrscheinlich dachte sie auch an ihren Sohn, der mittlerweile aus der Schule zurücksein mußte.
»Wissen Sie, was mich an diesem verdammten Fall am meisten stört, John?«
»Nein.«
»Daß es ein Kind ist, das diese Person mit hineingezogen hat. Ein Kind, zwölf Jahre alt. Es kann sich nicht wehren. Es steht den Dingen doch hilflos gegenüber.«
»Da haben Sie recht.«
»Wenn ich mir vorstelle, was Jason auf dem Friedhof alles mitgemacht hat, bekomme ich selbst weiche Knie.«
Ich schloß den Rover auf. »Manchmal, Ruth, gibt es Dinge, die kann man einfach nicht begreifen.«
»Aber man soll sie auch nicht so hinnehmen.«
»Stimmt auch wieder«, gab ich zu. »Und genau das werden wir auch nicht tun.«
Der Autoverkehr war um die Mittagszeit wieder furchtbar. Wir quälten uns hindurch und gelangten erst eine Dreiviertelstunde später an unser Ziel.
Ruth Finley lebte in einer normalen Wohnstraße. Die Häuser dort waren schon älter, sie wirkten aber nicht vergammelt. Nicht weit entfernt befand sich eine U-Bahn-Station, so daß sie mit der Tube zum Dienst fahren konnte.
Ich rangierte den Rover in eine Lücke. Die letzten Yards gingen wir zu Fuß.
Ruth schaute an den Hausfassaden hoch, hielt den Schlüssel bereits in der Hand und tauchte in eine Türnische, um den Eingang zu öffnen. Sie schritt vor mir her auf die Treppe zu und lief mit schnellen Schritten hoch bis zu ihrer Wohnung.
Ich holte sie ein, als sie aufschloß. Ruth deutete auf das neue Schloß.
»Das habe ich mir heute morgen noch von einem Notdienst einbauen lassen.« Ruth betrat die Wohnung und rief sofort den Namen ihres Sohnes mit einer so lauten Stimme, daß sie auch einen Schlafenden geweckt hätte.
Aber sie bekam keine Antwort.
Ich wartete in der Diele, während sie eine Tür nach der anderen aufstieß und in die Zimmer schaute, sie aber leer fand, bedauernd die Schultern hob und vor mir stehenblieb.
Sie hatte auch das Licht eingeschaltet. Ich sah, wie bleich ihr Gesicht geworden war.
»Er ist nicht da, John.«
»Und das ist ungewöhnlich?«
»Sicher. Um diese Zeit ist Jason längst zu Hause und sitzt an seinen Aufgaben.«
Ich hätte normalerweise nichts gesagt, in diesem Fall jedoch machte auch ich mir Sorgen. Jason hatte in der
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