Tödliche Mitgift
entzog sich ihrem Griff. »Was ist los?«
»Carlini hat gerade ein paar Telefongespräche geführt. Es ist bereits beschlossen: Sie werden unverzüglich zurück nach Lübeck reisen.«
»Warum das?«
»Sie sind offensichtlich raus aus den Ermittlungen, Frau Korittki.«
»Wie bitte?« Es war ein Gefühl, als hätte sie ein Déjà-vu. »Mit wem hat Carlini über mich gesprochen?«
»Ich glaube, unter anderem auch mit Ihrem Chef … Gables oder wie er heißt.«
»Ich habe keine Ahnung, was da passiert ist«, sagte Pia. Sie versuchte, sich einen Reim auf die neue Anweisung zu machen. Ihr Chef, Horst-Egon Gabler, hatte manchmal die Eigenart, seine Mitarbeiter herumzukommandieren. Aber dass er sie ohne zwingenden Grund aus Italien zurückholte, jetzt, da es interessant zu werden begann, traute sie ihm nicht zu. Vielleicht wusste er noch nichts von der jüngsten Entwicklung, dass sie Bernhard Löwgen, den Hauptverdächtigen, gefunden hatte? Aber selbst dann machte der Rückruf keinen Sinn.
»Es könnte, im Vertrauen gesprochen, mit etwas ganz anderem zu tun haben«, sagte die Commissaria mit gesenkter Stimme.
»Und zwar womit?«
»Wir haben seit heute Morgen die Carabinieri im Haus. Es handelt sich um Capitano Marco Petrucci und einige seiner Leute.«
»Warum jetzt plötzlich die Carabinieri?«, wollte Pia wissen.
»Es sieht so aus, als interessierte sich mit einem Mal das TPA, das Kunstdezernat in Rom, für unseren Mordfall Dreyling …«
»TPA?«
»Commando Carabinieri Ministero Pubblica Istruzione – Núcleo Tutela Patrimonio Artística. Die Carabinieri-Abteilung des Bildungsministeriums – Kommando zum Schutz des kulturellen Erbes. Kurz auch TPA oder TPC genannt.«
»Und das bedeutet …?«
Vittoria Sponza sah sich unbehaglich um. »Ich kann Ihnen jetzt nichts Näheres dazu sagen. Vielleicht später …«
»Warten Sie doch«, rief Pia, doch die Commissaria wandte sich ab und ging mit festen, laut im Gang widerhallenden Schritten in Richtung Treppenhaus. Wenn es denn noch ein Später für uns gibt, dachte Pia beunruhigt. Sie machte sich auf, um sich ein ruhiges Plätzchen in der Questura zu suchen, von wo aus sie mit Lübeck telefonieren konnte.
»Sie schmeißen dich raus, das ist köstlich, Pia! Du bringst mit deinem Anruf gerade etwas Licht und Leben in einen verregneten Tag!«
»Ich bin nicht in der Stimmung für Witze, Broders. Gestern Nacht hat mich ein Verrückter mit einer Glasscherbe attackiert, der, um mal Klartext zu sprechen, unter dringendem Mordverdacht steht. Ich habe ihn in Polizeigewahrsam gebracht, und heute, da vielleicht der Durchbruch in den Ermittlungen bevorsteht, soll ich gehen?«
»Ja, das ist nicht fein. Ich verstehe, dass du sauer bist. Aber trotzdem kannst du Horst-Egon Gabler jetzt nicht sprechen. Vielleicht in einer Stunde …«
»Das hat mir seine Sekretärin auch schon erzählt. Ich will von dir wissen, ob Gabler für meinen Rückruf verantwortlich ist. Und vor allem: Wenn er es nicht ist, wer steckt dann dahinter?«
»Und du glaubst, ich finde das so nebenbei mal schnell für dich heraus, Engelchen?«
»Ich kenne dich, Broders. Wenn einer das fertigbringt, dann du.«
»Du schmeichelst mir. Obwohl – so ganz unrecht hast du damit natürlich nicht. Aber was wirst du tun, wenn du weißt, wer dich wieder hierher zurückbeordert hat?«
»Ich will nur wissen, warum. Meines Erachtens ist es wichtig, dass ich noch in Perugia bleibe. Ich bin die Einzige hier, die Hintergrundwissen über die Nowaks und die Dreylings in Lübeck hat. Ich habe im Vorfeld mit ihnen allen gesprochen!«
»Mir musst du das nicht erzählen. Spar dir deine Puste für Gabler auf.«
»Du hast recht.« Sie atmete schwer aus.
»Entspann dich. Warte ab, was Gabler dazu zu sagen hat. Vorher rührst du dich am besten nicht von der Stelle. Ich wünsch dir noch alles Gute, ciao!«
Er schien bester Laune zu sein, während sie dem Impuls widerstehen musste, ihr Telefon gegen die Wand zu pfeffern. Das Adrenalin, das ihren Körper auf Kampf oder Flucht vorbereitet hatte, wollte ein Ventil finden. Sie sprang auf und ging hinüber zum Fenster. Ein verregneter Sommertag in Lübeck, und der Himmel über Perugia war wolkenlos – wahrscheinlich würde hier den ganzen Tag über die Sonne scheinen. Im Grunde, überlegte Pia, stand sie schon seit Löwgens Angriff gestern Abend so unter Strom. Auch die Nacht in dem ungewohnten Hotelbett und der kurze Gang zur Questura hatten daran nichts geändert. Die unangenehmen
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