Tödliche Nähe
leise.
»Um ihn zu finden?«, wiederholte Ezra.
Ihn finden … Verdammt, am liebsten hätte er ihre Hinweise einfach ignoriert. Ihn finden – Joe Carson brauchte nicht mehr gesucht zu werden. Er war in Clinton, Oklahoma, beerdigt worden, und seine halbe Heimatstadt verfluchte die Einwohner von Ash, Kentucky, während die andere Hälfte insgeheim triumphierte oder Gott dankte und etwas von gerechter Strafe tuschelte.
Ihn finden … Der Fall war aufgrund der Erkenntnis geschlossen worden, dass Jolene Hollisters Mörder nicht mehr ausfindig gemacht werden musste , denn er war bereits tot. Persönliche Gegenstände von ihr waren bei ihm entdeckt worden. Das hatte ausgereicht, um ihn zu belasten. Nachträgliche Befragungen ergaben, dass er ziemlich oft in der Stadt gesehen worden war und dass er in einem dreißig Kilometer entfernten Motel gewohnt hatte – das Zimmer war für mehrere Wochen auf seinen Namen gebucht gewesen. Es gab keinerlei Hinweise darauf, dass er sich schon zuvor in Ash oder der näheren Umgebung aufgehalten hatte, aber wenn ein Bulle seine Spuren nicht verwischen konnte, wer dann?
Oh ja, Ezra wollte gern glauben, dass Nia paranoid war; er wartete sogar einige Augenblicke darauf, dass ihm eine angemessene und höflich formulierte Abfuhr einfiele.
Doch er hatte keine parat.
Während er in ihre goldfarbenen Augen starrte, spürte er lediglich, wie sein Körper von einem leisen Gefühl der Nervosität erfasst wurde … es war ihm nur allzu vertraut.
»Und warum genau sind Sie der Ansicht, dass ich ihn suchen sollte?«, fragte er schließlich und lehnte sich zurück, ohne sein Pokerface aufzugeben.
»Na ja, immerhin tätscheln Sie mir nicht den Kopf und erinnern mich daran, dass schon jemand begraben wurde, den Sie für den Mörder halten«, brummte sie mehr zu sich selbst.
Ezra lachte leise. »Ich habe den Eindruck, jeder Versuch, Ihnen den Kopf zu tätscheln, würde mit dem Verlust mindestens eines Fingers enden, Miss Hollister. Aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
»Ich überlege noch, wie ich es formulieren soll. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass Sie mich hochkant aus dem Büro werfen würden. Sie waren ja vermutlich am Abschluss des Falls beteiligt.«
»Nein.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe die Stelle erst Anfang des Jahres übernommen. Der stellvertretende Sheriff, Steven Mabry, saß zeitweise auf diesem Posten, allerdings nur vertretungsweise, solange bis jemand anderes gefunden wurde. Auf Dauer wollte er den Job nicht machen.«
Nia zog eine Augenbraue hoch. »Dann sind Sie wohl dieser andere?«
»Richtig.« Er zog eine Grimasse und rieb sich geistesabwesend das Bein. »Genau der.«
»Ich nehme an, das ist auch der Grund, warum Sie mich noch nicht rausgeschmissen haben. Sie waren nicht von Anfang an mit diesem Fall befasst.« Abwartend neigte sie den Kopf.
Ezra grinste sie an. »Oh nein. Täuschen Sie sich da mal nicht. Selbst wenn es mir drauf angekommen wäre, hätte ich nicht tiefer in diese Sache verwickelt sein können. Und ich habe es nicht drauf angelegt – glauben Sie mir. Wenn Sie jetzt mit der Verzögerungstaktik durch sind, erzählen Sie mir doch mal, warum ich nach einem Mörder suchen soll, obwohl in der Akte steht, dass er bereits gefunden wurde … und zwar tot?«
Der Kerl nahm kein Blatt vor der Mund, stellte Nia fest.
Und er sah unverschämt gut aus. Unter normalen Umständen hätte sie ihn gern vor der Kamera gehabt. Diese dunkelgrünen Augen, dieses breite, spitzbübische Lächeln.
Aber Nias Leben war meilenweit entfernt von Normalität … Sie rang immer noch um Worte und ließ geistesabwesend den Blick durch sein Büro schweifen, da bemerkte sie, dass etwas an seiner Hand golden schimmerte. »Sie sind verheiratet?«
»Jepp. Seit ein paar Monaten. Und Sie halten mich immer noch hin.«
»Ich halte Sie nicht hin. Ich suche die richtige Formulierung.« Nervös stand sie auf und tigerte im Büro auf und ab, wobei ihr die Umhängetasche gegen die Hüfte baumelte und sie an die Mappen darin erinnerte. »Das … verdammt. Ich war schon einmal hier, als Sheriff Nielson noch daran gearbeitet hat, den Mörder meiner Cousine zu finden. Wissen Sie davon?«
Ezra grinste leicht. »Immerhin weiß ich, dass Sie einen guten rechten Haken haben.«
»Dann sind Sie also mit Reilly befreundet.« Sie wurde feuerrot und schaute weg.
»Mehr oder weniger, ja. Er ist einer der besten Freunde meiner Frau. Und weil ich sie liebe, versuche ich, ihn nicht
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