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Tödliche Nähe

Tödliche Nähe

Titel: Tödliche Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shiloh Walker
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sich immer noch beherrschen, um nicht zusammenzuzucken, wenn sie ihn in diesem Tonfall ansprach. Er rechnete ständig damit, dass Miss Tuttle ihn hochkant hinauswerfen und als Hochstapler beschimpfen würde. Offen gestanden kam er sich auch vor wie einer.
    Er setzte ein Lächeln auf, das mit Sicherheit sehr gekünstelt wirkte, und sah ihr in die leuchtenden, unglaublich wachen, grünen Augen. »Guten Morgen, Miss Tuttle. Wie geht es Ihnen?«
    »Im Gegensatz zu Ihnen bin ich jedenfalls nicht zu spät.«
    Er verfärbte sich leicht – er war nicht zu spät gekommen.
    Offiziell dauerte seine Arbeitszeit von acht bis fünf, und er hatte um 7.53 Uhr am Schreibtisch gesessen. Sonst war er immer bereits um 7.30 Uhr da, zur selben Zeit wie Miss Tuttle, weil sie ihm eine Heidenangst einjagte. Aber an diesem Morgen … na ja, Lena war zu ihm in die Dusche gestiegen. Da hatte er die Zeit vergessen.
    Er hielt ihrem Blick stand und erwiderte: »Ich musste mich um eine wichtige Privatangelegenheit kümmern.«
    Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, die Andeutung eines Lächelns auf ihrem ernsten Gesicht zu entdecken. Doch noch ehe er sich ganz sicher sein konnte, war es schon verschwunden. »So, so. Das glaube ich gern. Nun, hoffentlich war es dringend. Und jetzt … gehe ich davon aus, dass Sie bereit sind, sich mit Dienstangelegenheiten zu befassen, Sheriff. Eine junge Dame möchte mit Ihnen sprechen. Angeblich kannte sie Sheriff … Sheriff Nielson.«
    Miss Tuttles Augen wurden für einen Moment verdächtig glasig, und sie wandte den Blick ab. Damit sie sich sammeln konnte, beschäftigte sich Ezra stirnrunzelnd mit dem eisern geführten Kalender, den sie ihm immer hinlegte.
    »In meinen Terminplan ist niemand eingetragen.«
    »Hmpf. Als ob Sie irgendetwas mit dem Terminkalender anzufangen wüssten, wenn ich ihn nicht für Sie auf Stand halten würde«, brummte sie. Dann zupfte sie sich seufzend das Haar zurecht. »Sie steht nicht drin, Sheriff King. Die Dame heißt Nia Hollister …«
    Ezra schaute auf. »Hollister.«
    »Ja.«
    Sie blickten sich an, leuchtendes Frühlingsgrün traf auf tiefdunkles Waldgrün. Ezra schaute als Erster weg.
    Noch für Jahrzehnte würde dieser Name in Ash in aller Munde sein. Keiner von ihnen hatte die Frau gekannt, die hier gestorben war, in ihrer Stadt. Aber niemand würde sie je vergessen.
    »Nia Hollister«, murmelte er. »Das muss die Cousine von Jolene Hollister sein – dem Opfer.«
    »Ja. Haben Sie Zeit für sie?«
    Das war zwar als Frage formuliert, doch Miss Tuttles Tonfall ließ Ezra vermuten, dass er statt eines Neins ebenso gut die Finger ausstrecken könnte, auf die er dann eins mit dem Lineal draufbekäme. Dabei wollte er ohnehin nicht Neinsagen.
    Er durfte jedoch nicht den Eindruck erwecken, als hätte sie ihn völlig eingeschüchtert, oder?
    Also machte er ein ernstes Gesicht und schaute sie düster an. »Ich werde mir die Zeit nehmen. Aber wir müssen uns an den Terminplan halten.«
    »Ich mache den verdammten Plan«, schnaufte sie, ehe sie auf dem Absatz kehrtmachte und das Büro verließ.
    Er lehnte den Kopf zurück und brummte: »Dwight, ich bin dir sehr dankbar, dass du mir den Drachen hinterlassen hast, nur wie halte ich ihn bloß im Zaum?«
    Natürlich antwortete niemand. Kurz darauf richtete er sich auf, da er das vertraute Klacken von Miss Tuttles Absätzen auf den Fliesen hörte. Schritte einer zweiten Person waren nicht auszumachen, doch er nahm an, dass Joely Hollisters Cousine hinterherging.
    Und genauso war es. Einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet. Miss Tuttle trat zur Seite, um eine Frau hereinzulassen, bevor sie die Tür wieder schloss und durch den Flur zurücktrappelte.
    Sobald seine Sekretärin verschwunden war, richtete Ezra seine Aufmerksamkeit auf die Besucherin.
    Sie war groß – das ging Ezra als Erstes durch den Kopf.
    Sie war wunderschön – bemerkte er als Zweites.
    Sie war todtraurig – sein dritter und letzter Gedanke.
    Obwohl die Ereignisse inzwischen einige Zeit zurücklagen, wirkte sie immer noch gebrochen. Und er war nicht in der Lage, viel dagegen zu tun. Er konnte ihr nicht helfen, einen Schlussstrich zu ziehen, denn damit hatte er selbst Schwierigkeiten.
    »Sheriff King?«
    Er stand auf. »Ja, das bin ich. Sie müssen Nia Hollister sein.«
    Sie schenkte ihm ein verkniffenes, angestrengtes Lächeln. »Richtig. Danke, dass Sie so kurzfristig Zeit für mich gefunden haben.«
    »Kein Problem.« Er deutete auf den Stuhl vor dem

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