Toedliche Offenbarung
Löwenbastion?«
Beckmann hätte wirklich nichts gegen ein Bier einzuwenden, andererseits würde er aber auch gerne Martha treffen. Es gibt so viele Dinge, die ungeklärt sind zwischen ihnen. Er tippt im Auto sitzend ihre Nummer auf dem Handy ein. Beim Hausanschluss nimmt niemand ab. Unter M hat er mehr Glück. Nach zweimaligem Klingeln meldet sie sich.
»Wenn du möchtest, kann ich gleich bei dir vorbeikommen, wir machen für heute Schluss. Ich könnte mir die brisanten Stellen im Text ansehen, von denen du gesprochen hast. Vielleicht bringt uns das bei den Ermittlungen weiter.«
Er stockt kurz und ergänzt dann: »Wie es aussieht, hat Broderich deinen Müller mit dem Dokument erpresst.«
Das Zögern auf der anderen Seite der Telefonleitung dauert nur einen winzigen Augenblick.
»Komm vorbei. Ich packe meine Sachen in der Redaktion auch gerade zusammen. Der Artikel für morgen steht.«
III.
Montag
Er [der Prediger] wußte wohl, was den Mann drückte, …: »Wer sich und die Seinen gegen Schandtat und Greuel wehrt und Witfrauen und Waisen beschützt, Drewsbur,« sagte er, »den wird unser Herrgott willkommen heißen, und wenn seine Hände auch über und über rot sind.«
Der Wehrwolf, S. 145 f.
1
Als Beckmann am nächsten Morgen erwacht, schläft Martha noch. Vorsichtig löst er sich aus ihren Armen. Er wirft einen Blick auf das friedlich schlummernde Gesicht. Manchmal wünscht er sich, dass er die Zeit zurückdrehen könnte. Aber in guten wie in schlechten Momenten geht es einfach immer nur weiter. Dabei hätte er gestern Abend am liebsten die Zeit angehalten. Zur Begrüßung hatte Martha sich wie selbstverständlich an ihn gelehnt, die Stirn auf seine Schulter gelegt und ihn an sich gedrückt, ohne ein Wort zu sagen. Eine Weile standen sie beide reglos da. Kopf und Gedanken waren ausgeschaltet, stattdessen übernahmen behutsame Finger das Kommando, hungrige Lippen trafen aufeinander und verlangten nach mehr.
Erst viel später, als es schon dunkel war und sie vertraut nebeneinander im Bett lagen, redeten sie. Es dauerte, bis er die Tragweite ihres Berichtes verstand, aber dann dämmerte es ihm: Müller und der Junge mit dem Blutschwamm sind identisch. Herbert Müller hat einen Sträfling erschossen – und vermutlich nicht nur das. Martha glaubt, dass er auch an Claras Verschwinden beteiligt gewesen ist.
So eine wie Clara geht nicht einfach weg und lässt ihre Textsammlung zurück, hat Martha gesagt. Auf keinen Fall. Beckmann knetet mit Daumen und Zeigefinger an seinem Ohrläppchen. Die Sache von damals passt zu den Morden von heute, vielleicht ist sie sogar der Anlass für sie. Broderich erkennt den Wert des Textes. Unter dem Namen »Wehrwolf« erpresst er Müller mit den Hinrichtungen während der Sträflingsjagd. Wie reagiert Müller? Er zahlt einmal. Beim zweiten Erpressungsversuch ahnt er, dass es endlos so weitergehen kann. Was tut er also? Er entledigt sich des Mitwissers. Ein Motiv für einen Mord ist Erpressung allemal, aber noch lange kein Beweis. Wo steckt dieser Müller? Hoffentlich hat Rischmüller etwas herausgefunden.
Martha dreht sich im Schlaf um und seufzt. Was sie wohl träumt? Liebevoll streicheln Beckmanns Augen ihr Gesicht, als der Gedanke Form annimmt, der gestern zum ersten Mal im Kommissariat aufgetaucht ist. Wenn seine Vermutungen zum Mordmotiv stimmen, kann er nur hoffen, dass der Täter nichts von Marthas Kopie der Interviewsammlung weiß.
Vorsichtig setzt er sich im Bett auf. Es ist erst sieben. Soll er einen Cappuccino machen? Er zögert. Vielleicht ist es noch zu früh, alte Gewohnheiten wieder aufzunehmen, besser, sie vollziehen diesen Neustart ganz behutsam.
So leise wie möglich zieht Beckmann sich an, schließt die Tür fast lautlos hinter sich und macht sich auf den Weg zu seiner Wohnung. Ein sauberes Hemd kann bei der Hitze auch nicht schaden.
Entlang der Moorautobahn wiegen sich reife Kornfelder im Sommerwind, Bauern sind mit Mähdreschern unterwegs. Die Sonne strahlt bereits mit voller Kraft und taucht alles in ein flirrendes Licht. Heute soll die Hitzemarke von 36 °C im Schatten geknackt werden, flötet die Moderatorin von radio 99 zwischen zwei Hits.
Eine Stunde später ist Beckmann frisch geduscht und rasiert. Den Deodorant in Form des Kristallstifts hat er doppelt aufgetragen, bevor er sich das weiße Leinenhemd zur Jeans überzieht. Dann erst greift er zum Telefon. Er wählt die Nummer der Staatsanwältin. Nichts. Er ist
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