Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
sie sie lautlos für sich und nicht in dem ehrfürchtigen Flüsterton, den sie sich angewöhnt hatte. Als sie sich ins Bett gelegt hatte, betrachtete sie Marjorie, die sich vor dem Spiegel das Gesicht eincremte. Marjories Nachthemd war von frivolem Schnitt, und ihre nackten Arme sahen anmutig aus in dem gedämpften Licht. Ihr langer dunkler Zopf schwang mit jeder ihrer Bewegungen hin und her, und die Rundung ihres Busens war, wie ihr Nachthemd andeutete, wohlgeformt. Ihre Mutter sah in ihr einen schönen gefangenen Vogel, den sie bald schon befreien würde – genauso, wie sie in ihrem Ehemann ein abscheuliches, Gift spritzendes Reptil sah, das sie unter ihrem Absatz zertreten würde.
Marjorie beendete ihre Verrichtungen und ging um das Bett herum auf ihre Seite. Einen Moment lang zögerte sie – sie hatte die Angewohnheit, am Abend zu beten (die ihre Mutter ihr in der Kindheit so strikt auferlegt hatte), schon lange aufgegeben. Doch aus Rücksicht auf ihre Mutter ging sie auf die Knie und legte ihr Gesicht in die Hände. Turbulente Gedanken stürmten ihr auf einmal durch den Kopf, doch alle unbestimmt und nebulös. Verschwommene Bilder von George Ely in einigen der Situationen, in denen sie ihn am Tag gesehen hatte, flirrten einen Moment lang vor ihrem geistigen Auge. Und dann schaltete sie das Licht aus und kletterte in das Bett neben ihre Mutter.
10
Nun reihten sich Tage um Tage voller Glück und Gemeinschaft aneinander, wie weder Marjorie noch Ely sie je zuvor erlebt hatten. Das Auto wurde regelmäßig genutzt; sie aßen Eiscreme in einem halben Dutzend Seebädern, wo sie auf den Promenaden mit einem wohltuenden Gefühl der Überlegenheit die vielen sonnenverbrannten jungen Männer und aufdringlich lachenden jungen Frauen beobachten konnten, die nicht in einem schönen Steinhaus außerhalb der lauten Städte wohnten und die nicht stolz das Privileg eines eigenen Autos genossen. Verwundert betrachteten sie die graue Schönheit von Bodiam Castle, und seinen Burggraben mit den Enten und Seerosen, und den schmalen Flusslauf des Rother, der sich durch das Tal schlängelte.
Das Auto suchte sich seinen Weg entlang der ruhigen Landstraßen durch die Wälder rund um Hawkhurst – Marjorie lernte durch eifriges Üben ziemlich schnell, Karten zu lesen und Ely den Weg zu weisen, der immer noch viel zu sehr damit beschäftigt war, Gänge zu wechseln und Kurven zu umrunden, als dass er irgendeine Route über die erste Kreuzung hinaus im Kopf behalten hätte. Es war mit Sicherheit das Auto, das das erste einigende Band zwischen ihnen knüpfte. Wenn es ihm gelungen war, unter allergrößten Anstrengungen im höchsten Gang eine unbedeutende Anhöhe hinaufzukriechen, nickte Marjorie sogleich anerkennend – sie war von Anfang an von Elys Begeisterung für sein erstesAuto infiziert. Die erste Reifenpanne war ein Ereignis; sie glaubten, etwas ganz Außerordentliches geleistet zu haben, als es ihnen ohne die Hilfe eines Fachmanns gelungen war, das kleine Auto aufzubocken und das Rad zu wechseln, und als sie dann feststellten, dass das Auto danach genauso gut fuhr wie zuvor.
Marjorie fand, dass ihre Mutter während dieser Zeit ganz bezaubernd war; immer war sie bereit, sich um die Kinder zu kümmern, damit sie beide ungebunden waren, und freudig übernahm sie alle möglichen Hausarbeiten, sodass Marjories Zeit und Energie von häuslichen Pflichten kaum beansprucht wurden. Und es waren all die freundlichen kleinen Dinge, die Mutter sagte, die zur freundlichen und sorglosen Atmosphäre dieses Urlaubs beitrugen – andere Urlaube waren von Gezänk mit Ted, und gelegentlich sogar mit Dot, beeinträchtigt gewesen. Dieser Urlaub aber war eine Zeit des ungetrübten Glücks.
Ely empfand das ganz genauso. Man könnte ihn fast einen verbitterten jungen Mann nennen, weil das Leben ihn gelehrt hatte, immer nur Enttäuschungen zu erwarten. Für ihn war es eine wunderbare Überraschung, dass der lang ersehnte Besitz eines Autos ihm all die Freuden einbrachte, auf die er zweifelnd kaum zu hoffen gewagt hatte. Und es war eine noch viel größere Überraschung für ihn, dass Mrs Grainger, die Ehefrau seines offiziellen Vorgesetzten, so mitfühlend und zugänglich war und sich so bereitwillig von seiner feurigen Begeisterung anstecken ließ. Keine andere Frau hatte je irgendeinen Nutzen oder Vorzug in George Ely gesehen, und dies war die schönste und auch die klügste Frau, der er je begegnet war. Die langen Stunden gemeinsamen Fahrens hatten
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