Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
geweint vor Erschöpfung, noch ehe die Hälfte des Weges zurückgelegt war, und die scharfen Worte, die seine überreizte Mutter ihm über die Schulter zugeworfen hatte, hatten ihn nicht getröstet. Und bei ihrer Ankunft im Guardhouse gab es natürlich keinerlei Vorkehrungen, keinen Tee, nichts; selbst die Betten mussten erst noch bezogen werden, bevor sie sich ausruhen konnten. Überdrüssig und müde dachte Marjorie an den Fußmarsch von einer Dreiviertelmeile zu den Läden.
Mrs Clair war es, die sich mit einer Entschlossenheit und Energie der Lage gewachsen zeigte, die noch für eine halb so alte Frau wie sie achtbar gewesen wären – genauso, wie es auch Mrs Clair gewesen war, die den weinenden Derrick im Auto besänftigt und ihn für den Rest der Fahrt in eine Art Halbschlaf gewiegt hatte.
»Also, zuerst einmal brauchen wir hier ein paar hübsche Blumen«, sagte sie fröhlich. »Anne, kann ich mich darauf verlassen, dass du mir mit Derrick dort drüben auf der Wiese ein paar hübsche pflückst?«
»Oh ja, Grannie«, erwiderte Anne; man musste ihr nurauf die richtige Art einen Vorschlag machen, dann war sie ein sehr gefügiges Kind und übernahm mit großer Freude die Verantwortung für die ihr zugeteilte Aufgabe. Ihre Begeisterung steckte Derrick an, und die beiden rannten auf die Wiese hinaus und vergaßen, für den Moment zumindest, all ihre Quengelei und den Hunger und machten sich daran, Löwenzahn und Butterblumen einzusammeln.
»Die Betten müssten bezogen werden«, fuhr Mrs Clair, an ihre Tochter gewandt, munter fort, »aber ich glaube, wir möchten erst einmal einen Tee, nicht wahr? Ich werde mich auf den Weg zu den Läden machen. Wir brauchen Brot und Milch, und ...«
Mrs Clair zählte an den Fingern die nicht enden wollende Liste an Dingen ab, die bei diesem Wochenendeinkauf für einen Haushalt, in dem es an allem und jedem fehlte, benötigt wurden. Der junge Mr Ely, der sich die steifen Beine im Garten vertreten hatte, kam gerade rechtzeitig wieder herein, um es mit anzuhören. Er war benommen und müde von der Anstrengung der Fahrt – der längsten, die er je gemacht hatte, und dann auch noch an einem einzigen Tag und inmitten all des Verkehrs, der ihm oft in gefährlich hoher Geschwindigkeit dahinzubrausen schien. Aber er war eine hilfsbereite Seele und seltsam häuslich trotz (oder vielleicht gerade wegen) der letzten Jahre, die er zur Untermiete gewohnt hatte.
»Nun, ich bin ja auch noch da mit dem Auto«, sagte er. »Wie wollen wir es denn machen?«
Diese einfache Frage nahm Marjorie sofort eine Last von den Schultern. Sie hatte die Existenz des Autos natürlich nicht vergessen, aber da sie annahm, dass Mr Ely sich in Haushaltsdingen genauso verhielt wie Ted, war sie davon ausgegangen, dass sie und ihre Mutter ohne weitere Hilfe alles selbst erledigen mussten, während Mr Ely sich zu Brot,Käse und Bier in ein nahe gelegenes Pub begab und erst wiederkäme, wenn alle Arbeit getan war. Dankbar lächelte sie George an.
»Vielen Dank, Mr Ely«, sagte Mrs Clair und sortierte ihre Pläne neu. »Wissen Sie was, fahren doch Sie mit Marjorie in die Läden, dann kümmere ich mich um die Vorbereitungen für den Tee und erledige schon einmal all das, was ich im Haus tun kann.«
Es war wunderbar, mit einem Auto zum Einkaufen zu fahren. Eine Dreiviertelmeile war gar nichts in einem Auto, und wenn die Sachen eingekauft waren, dann hatte man die ganze Rückbank, um sie dort abzulegen, anstatt sie, mit zunehmend schmerzendem Rücken, von Laden zu Laden herumzuschleppen. Marjories Müdigkeit und plötzliche Enttäuschung fielen ab von ihr, als sie diesen erfreulichen Umstand zu würdigen lernte. Sie lächelte und warf den Kopf in den Nacken, um das entfernte Meer zu riechen, und ihre unbeschwerte Heiterkeit steckte auch Ely an, sodass er es aufrichtig genoss, eine Viertelstunde lang flott durch die drei Läden zu eilen, die das Bungalow-Feriendorf hatte.
Im Guardhouse hatte Mutter inzwischen den Tisch gedeckt, das Wasser im Kessel kochte, und auch wenn die Kinder das Blumenpflücken sehr bald leid geworden waren, dauerte es doch nur einen Moment, ihnen Brot, Marmelade und heißes Wasser mit Milch hinzustellen, und schon hatte sich ihre Quengelei wie von Zauberhand aufgelöst. Jahr um Jahr hatte Marjorie die elende Qual der ersten Ankunft im Guardhouse vergessen, nur um sich mit erneuter Enttäuschung und Bitterkeit beim nächsten Mal wieder daran zu erinnern. Aber diese Ankunft war schon jetzt anders.
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