Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
aufschieben, du?«
»Nein«, erwiderte Marjorie.
Die Pfiffe auf dem Trampelpfad wurden gebieterischer und ungeduldiger. Sie wand sich geradezu in ihrem Sessel.Das Gepräch dümpelte angesichts ihres offensichtlichen Widerwillens vor sich hin.
»Ich bin furchtbar müde«, sagte Marjorie schließlich aus schierer Verzweiflung. »Ich glaube, ich gehe ins Bett.«
»Ja, das würde ich an deiner Stelle gewiss auch machen, Liebes«, erwiderte Mrs Clair mitfühlend. »Willst du zuerst noch ein Bad nehmen? Soll ich mit hinaufkommen und dich ins Bett bringen?«
»Oh nein, ich komme schon zurecht«, sagte Marjorie. Sie stand aus ihrem Sessel auf, um ihre Mutter ebenfalls zum Aufstehen zu bewegen. Die Pfiffe draußen schienen allmählich ungehalten zu werden.
»Du siehst wirklich müde aus, Liebes«, sagte Mrs Clair, die sich mit unerträglicher Langsamkeit zum Gehen bereit machte. »Du musst auf dich achten.«
»Ja, das werde ich tun, Mutter«, sagte Marjorie zur Tür hastend.
»Armes Lämmchen!«, sagte Mrs Clair und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
Draußen auf der Straße murmelte sie noch einmal »Armes Lämmchen!« vor sich hin, als sie sich auf den Weg in die Dewsbury Road machte. Ihr Herz quoll über vor Bedauern für ihre Tochter. Es hatte sie geschmerzt, sich so unerträglich lange aufzuhalten, obwohl Marjories Nerven zum Zerreißen angespannt waren; aber sie hatte es absichtlich getan und letztlich zum Besten ihrer Tochter. Ihr war überdeutlich bewusst, dass sie die beiden Liebenden in die Verzweiflung treiben, sie bis zum Siedepunkt anheizen musste, koste es, was es wolle. Es war eine Schande, ihre Tochter so zu behandeln, und auch den armen Mr Ely, aber es war alles nur zu ihrem Besten.
In der Dunkelheit des Gartens wurden unterdessen beimHolunderbaum Erklärungen, fast gegenseitige Beschuldigungen getauscht.
»Liebste, wie lang du gebraucht hast! Warum bist du nicht gekommen, Liebste? Du hast mich doch pfeifen gehört.«
»Ich konnte nicht, Liebling. Mutter war da.«
»Du hättest sagen können, dass du etwas in der Küche zu tun hast.«
»Sie wäre mit mir mitgegangen, wenn ich das gesagt hätte. Außerdem hätte sie gewusst, dass ich so spät am Abend in der Küche nichts mehr zu tun habe. Ich konnte nicht kommen, Liebster. Zum Schluss musste ich sagen, dass ich ins Bett gehen will, damit sie geht. Es tut mir furchtbar leid, Liebster.«
»Wo ist Grainger?«
»Ausgegangen. Aber ich weiß nicht, wann er zurückkommt. Ich kann keine Minute länger bleiben, Liebster. Oh mein Liebster ...«
Es war alles gut und schön, sich dort in der Dunkelheit aneinanderzuklammern und sich zu küssen. Doch das Gefühl der Frustration und Verzweiflung blieb bestehen, ja wurde sogar verstärkt. Marjorie konnte spüren, wie gereizt ihr Liebhaber war, und Angst trat zu ihrer Bitterkeit.
»Sag mir, dass du mich liebst«, flüsterte sie. »Sag mir, dass du mich immer liebst.«
»Oh – ich liebe dich, Liebste«, sagte er vielleicht zum hundertsten Mal, seit er sie gerettet hatte. Doch diesmal lag etwas in seiner Stimme – fast so, als hätte er ein »Aber« angefügt nach seinem Liebesschwur.
»Es ist abscheulich«, sagte er ein, zwei Momente später, wie in Erweiterung jenes unausgesprochenen »Aber«. Und dann stellte er die Frage, die Marjorie zuerst ausgesprochen hatte.
»Was sollen wir nur tun ?«
Marjorie tat ihr Bestes, um ihn zu beruhigen.
»Mach dir keine Sorgen, Liebster«, flüsterte sie eindringlich. »Es wird alles gut werden. Ich schwöre dir, es wird alles gut werden.«
Unbewusst wiederholte sie die Worte, die ihr Liebhaber zu ihr gesagt hatte. Genauso, wie er die Frage wiederholte, die sie ihm gestellt hatte. Wenn sie ihn verlieren würde, wäre sie ohne einen einzigen Freund in der Welt, dachte sie. Dann gäbe es nur noch Kummer und Zweifel, Gefahr und Schwierigkeiten und eine ungeheure Leere in ihrem Leben; ein Gedanke, der sie vollkommen entsetzte. Sie konnte sich die Zukunft in keiner Weise vorstellen, nicht einmal mit George als ihrem Liebhaber, doch wenn George sie verließe, wenn Georges Geduld zu Ende ginge, wäre das das Ende von allem. Sie hatte das Gefühl, dass sie dann sterben würde.
Sie zog ihn an ihre Brust, und seine Passivität, ja fast Abwehr, warnte sie aufs Neue vor seiner Unzufriedenheit.
»Ich liebe dich, Liebster«, flüsterte sie.
Sie wollte ihn trösten, ihn stärker mit den Umständen versöhnen. Alles, was sie über Männer wusste, ja nahezu alles, was sie
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