Tödliche Saturnalien
ganze Dezember ist dem Saturn geweiht, so daß in diesem Monat nur wenige offizielle Regierungsgeschäfte getätigt werden. Senatssitzungen finden nur im Falle eines nationalen Notstands statt, und es gibt auch kaum Prozesse und juristische Anhörungen. Die ausscheidenden Beamten ordnen ihre Angelegenheiten und bereiten sich darauf vor, für die Maßnahmen während ihrer Amtszeit vor Gericht gezerrt zu werden, während ihre designierten Nachfolger sich auf ein Jahr unermüdlicher Schufterei einstellen. Der Dezember ist die Zeit, in der Rom aufatmet. In den alten Tagen war es die Zeit der Erholung von der physischen Erschöpfung nach Ernte und Weinlese. Mittlerweile erledigten die Sklaven den Hauptteil dieser Arbeit, doch selbst die hatten an den Saturnalien frei, wenngleich natürlich nicht den ganzen Monat, so doch wenigstens einen Tag.
Auf dem Forum herrschte ein reges Treiben. Noch immer wurde überall eifrig geschmückt. Man sah Getreidegarben und putzige Püppchen aus geflochtenem Stroh; Kränze und Girlanden aus Weinblättern waren an etlichen Stellen des Forums aufgehängt worden. Festzelte, Stände und Buden wurden aufgebaut, frisch gefärbte oder bemalte Planen strahlten in neuem Glanz. Für den Feiertag waren die meisten Beschränkungen für den Verkauf von Waren auf dem Forum gelockert worden. Die meisten Händler hatten Nahrungsmittel im Angebot, etliche von ihnen auch Masken und Kränze. Wieder andere boten Wachskerzen und kleine Tonfiguren feil, ein traditionelles Saturnalien-Geschenk.
»Hermes«, sagte ich, während wir die Vorbereitungen beobachteten, »ich werde jetzt eine Weile im Staatsarchiv zu tun haben. Ich möchte, daß du zwischen den Händlern umherschlenderst und die Ohren offenhältst. Erinnerst du dich noch an den Dialekt der beiden Rüpel von gestern abend?«
»Den würde ich wohl kaum vergessen«, gab er zurück.
»Finde heraus, ob viele Händler mit marsischem Akzent in der Stadt sind, um ihre Waren zu verkaufen. Solltest du unsere beiden Freunde entdecken, komm und hol mich.«
»Das Licht gestern abend war nicht besonders gut«, meinte er skeptisch. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie wiedererkennen würde. Die Bauern sehen doch alle irgendwie gleich aus.«
»Tu dein Bestes«, sagte ich und machte mich auf den Weg zum Tabulanum. Ich trottete den Capitol hinauf mit seiner Ansammlung altehrwürdiger Tempel auf dem heiligsten Grund der Stadt. Das Staatsarchiv war in einem riesigen, langgezogenen Gebäude untergebracht. Die Vorderfront, die vom Forum aus zu sehen war, war mit beeindruckenden Bögen, Säulen und Statuen verziert, während die übrigen Fassaden schmucklos wie die eines Lagerhauses waren.
Und in gewisser Weise war es das ja auch. Hier lagerten sämtliche staatlichen Dokumente, die nicht traditionell in einem der Tempel aufbewahrt wurden. Im ersten Stock auf der offenen, zum Forum gewandten Seite des Gebäudes befand sich die Halle der Gerichtsakten. Wie alle Abteilungen der Einrichtung wurde auch sie von staatlichen Freigelassenen und Sklaven verwaltet. Sie waren sämtlich Experten in der Lagerung und Pflege von Unterlagen und wußten aus dem Gedächtnis, wo sie sich jeweils befanden. Zur damaligen Zeit war der verantwortliche Abschnittsleiter ein Freigelassener namens Ulpius, ein Mann von muffigen und staubigen Umgangsformen, die er sich bestimmt in dieser Umgebung angewöhnt hatte.
»Wie kann ich dir helfen, Senator?« fragte er. Sein Latein hatte den entfernten Hauch eines spanischen Akzents, obwohl er schon als Kind nach Rom gekommen sein mußte.
»Guter Freund«, sagte ich mit einem Lächeln, »ich brauche Informationen über eine gewisse Harmodia.« Es war durchaus üblich, während der Saturnalien kumpelhaften Umgang mit Sklaven und Freigelassenen zu pflegen.
Er blinzelte, ohne auf mein Verbrüderungsangebot einzugehen. »Harmodia? Eine Frau?«
»Das ergibt sich meines Erachtens mit geradezu zwangsläufiger Logik aus der Endung ihres Namens«, klärte ich ihn auf. »Ich suche nach sämtlichen Gerichtsunterlagen, die eine Frau namens Harmodia betreffen.«
»Ich verstehe. Und außer dem Namen hast du keinerlei Informationen über diese Frau?«
»So ist es«, erklärte ich ihm fröhlich.
»Hm«, brummte er nachdenklich. »Es wäre hilfreich zu wissen, ob es sich um eine Sklavin, eine Freigelassene oder eine Freigeborene handelt.«
»Ich fürchte, das weiß ich nicht«, erwiderte ich.
»Dann vielleicht wenigstens, ob sie noch lebt oder schon tot
Weitere Kostenlose Bücher