Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
geholfen, diese schreckliche Tour
zu überstehen.«
»Ich bin
trotz allem froh, dass ich diese Extremsituation er- und überlebt habe. Mir ist
klar geworden, was wichtig ist«, sagte sie.
»Ja, das
stimmt, das Leben ist uns nochmals geschenkt worden.«
Es war bereits dunkel, als weit
unten die Lichter der ersten Häuser von Campofranco auftauchten. Den schmalen Weg
über Steinplatten und Wildbäche durch den Wald sah man kaum mehr, und irgendwo stand
Alex, an eine Tanne gelehnt, der kurz vor dem Ziel nun doch auf Eva und Francesco
gewartet hatte. Gegen neun Uhr abends erreichten sie endlich das Dorf, drei durchnässte
Gestalten mit Pickel und Rucksack. Auf einmal lief Roberto auf sie zu und umarmte
sie alle drei erleichtert. Er hatte sich seit Stunden Sorgen um sie gemacht und
zum Glück in einem Gasthof vorsorglich zwei Zimmer reserviert.
Eva sank
todmüde ins Bett und vergaß Alex neben sich.
Am nächsten Morgen regnete es immer
noch. Alle vier saßen beim Frühstück und wollten sobald wie möglich nach Pontresina
zurückfahren.
Der letzte
Ferientag für Alex und Eva. Während Francesco mit Roberto nach Südtirol zurückkehren
würde, wollte Alex seine Freundin mit dem Auto in die Schweiz zu ihren Eltern bringen
und dann nach Rom weiterreisen. Sie standen alle vor dem Gasthof, und Alex verstaute
die Rucksäcke samt Pickel und Seil im Kofferraum von Francescos Wagen.
Francesco
trat zu Eva, die etwas abseits wartete, und legte ihr spontan den Arm um die Schultern.
»Eva, bitte
überstürze nichts«, bat er leise. »Alex ist zwar mein Freund, aber ich möchte nicht,
dass du unglücklich wirst. Pass auf dich auf. Viel, viel Glück! Lass wieder einmal
etwas von dir hören«, sagte er und gab ihr überraschend einen zärtlichen Abschiedskuss.
Sie stiegen
alle ins Auto, um nach Pontresina zu fahren, wo Alex seinen Taunus auf dem Parkplatz
hatte stehen lassen und nun holen musste. Er setzte sich vorne neben Francesco,
wandte sich dann nach Eva um und bemerkte auf Deutsch, damit es die Freunde nicht
verstehen konnten: »Ich habe euch beide vorhin gesehen!«
»Alex, dieser
harmlose Kuss zum Abschied! Schließlich haben wir diese ganze Tour zusammen überstanden
…«
»Ich mag
das nicht!«, sagte er mit schneidender Stimme.
Alex eifersüchtig
und böse auf sie, am letzten Tag. Sie sagte kein Wort mehr und wurde auf einmal
ganz ruhig. Jetzt, endlich, wusste sie plötzlich die Antwort auf die Frage, die
er ihr vor wenigen Tagen gestellt hatte: Nein, sie würde, sie konnte Alex nicht
heiraten. Sie ertrug ihn nicht länger.
In Pontresina
verlangte sie den Autoschlüssel, ging sofort zum Taunus und packte ihre Sachen zusammen.
Sie wandte sich an Francesco und bat ihn, sie im Auto bis zum Bahnhof mitzunehmen.
Er nickte und nahm ihr das Gepäck ab, um es einzuladen.
»Was machst
du da?«, fragte Alex, der ihr gefolgt war, überrascht.
»Ich fahre
mit dem Zug nach Hause, es ist das Beste. Ich … kann dich nicht heiraten, ich weiß
jetzt, es würde nicht gut gehen. Wir würden beide unglücklich. Du bist und bleibst
ein Einzelgänger, du wirst kaum je lernen, auf eine Frau Rücksicht zu nehmen. Du
musst frei bleiben und weiter herumzigeunern. Ich mag nicht mehr. Ich bin müde nach
dieser letzten Tour und will allein sein. Wir können uns gelegentlich schreiben,
wenn du möchtest. Selbst das hat eigentlich keinen großen Sinn mehr. Ich hoffe,
es wird dir gut gehen in Saudi-Arabien. Der Sommer in den Dolomiten war trotz allem
sehr schön, ich bin froh, dass ich ihn erlebt habe. Danke für alles. Ciao.«
Alex war
so überrumpelt und wütend, dass er nicht rechtzeitig reagieren konnte und sie nur
ungläubig anstarrte. Eva umarmte ihn kurz und stieg zu Francesco und Roberto ins
Auto.
Francesco
hupte und fuhr los. Sie winkten alle drei dem zurückbleibenden Freund.
Eva schaute
lange zurück. Alex stand neben dem Taunus, groß und schlank, die weiße Mütze auf
dem Kopf. Sie hatte ihn geliebt und liebte ihn wahrscheinlich immer noch, doch konnte
sie nicht länger mit ihm zusammenleben, sie durfte sich nicht aufgeben. Sie musste
wegfahren, jetzt, sofort, solange sie die Kraft für diesen Schritt aufbrachte. Keine
Sentimentalitäten und Rücksichten mehr. Es kam ihr vor, als wäre sie aus einem schlafähnlichen
Zustand, einer Art Hypnose, erwacht. Die Tränen liefen ihr übers Gesicht, und Alex’
Gestalt verschwamm.
Wenig später stand sie, die Hände
in den Jackentaschen, auf dem kleinen Bahnhof der
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