Tödliche SMS (German Edition)
einer heißen Dusche und frischem Kaffee hatte sie plötzlich einen ungeheuren Tatendrang verspürt, war kurz darauf mit dem Verpacken und Sortieren von Silkes Sachen beschäftigt. Als sie die Lade mit den Alben ausräumte, blätterte sie sienoch einmal durch. Sie hielt inne, runzelte die Stirn. Konnte es denn möglich sein …?
Nein. Unmöglich. Warum sollte plötzlich ein Foto fehlen?
Wahrscheinlich war es herausgerutscht. Andrea blickte auf den Boden. Nichts. Sie schüttelte den Kopf.
Blödsinn. Sie hatte das Schloss austauschen lassen. Niemand, außer sie selbst, besaß Schlüssel zu dieser Wohnung. Das Foto existierte wahrscheinlich nur in ihrem Kopf. Sie sah schon Gespenster. Wütend über sich selbst, klappte sie das Album zu und verstaute es mit dem anderen in einem Karton. Nur das unscharfe Foto zog sie aus dem Umschlag und steckte es in ihre Handtasche.
Gegen zehn Uhr läutete ihr Handy. Es war ihre Mutter, die wissen wollte, wann sie wieder nach München kommen würde. Andrea atmete lautlos tief ein und wieder aus. Ihr war klar, dass sie jetzt nicht um den heißen Brei herumreden sollte, deshalb leitete sie die furchtbare Nachricht vorsichtig ein. „Du, ich muss dir etwas Schreckliches erzählen …“, und dann berichtete sie ihrer Mutter, was sich ereignet hatte, nur die Sache mit den vielen Nachrichten auf ihrem Mobiltelefon und das Mittagessen ließ sie aus. Ihre Geschichte begann mit dem Spaziergang durch Wien und endete im Atelier mit Silkes Leiche.
„Warum steigst du nicht in den nächsten Zug, kommst nach Hause und lässt die Polizei in Ruhe ihre Arbeit machen?“ Auch wenn der Satz wie eine Frage klang, so klang es doch auch ein wenig nach einem Befehl. Der verzweifelte Erlass einer Mutter, die Angst um ihr Kind hatte.
„Daran habe ich auch schon gedacht. Aber bitte versteh mich jetzt richtig! Ich muss hierbleiben. Irgendwie habe ich das Gefühl, es Silke schuldig zu sein. Außerdem möchte ich ihren Eltern beistehen.“
Sie hörte, wie ihre Mutter ihrem Vater, der wahrscheinlich hinter ihr stand, davon berichtete. Wie sie ihren alten Herrn einschätzte, würde er ihre Entscheidung respektieren und unterstützen. Er hatte schon immer den Part des „Verständnisvollen“ übernommen. Ihre Mutter kannte sie nur als vorsichtige und zuweilen überängstliche Frau. Das war auch der Grund gewesen, warum sie ihr niemals von dieser Geschichte mit Chris erzählt hatte. Andreas Magen krampfte sich zusammen. Sie hasste es, wenn sie ihrer Mutter etwas verschwieg. Aber in diesem Fall war es das Beste für sie beide gewesen. Sie wäre imstande gewesen, sich in den Zug zu setzen, um ihre Tochter eigenhändig nach München zurückzuholen. Etwas, das Andrea unter allen Umständen hatte vermeiden wollen.
Sie hörte dumpf, wie ihre Eltern miteinander redeten. Wahrscheinlich hielt ihre Mutter mit der Hand die Muschel zu. Die beiden würden eine Weile diskutieren, sich Blicke zuwerfen und ihre Mutter würde schließlich nachgeben, so wie immer.
Ein gewollt hörbarer Seufzer verriet ihr, dass sie recht behalten und fürs Erste gewonnen hatte.
„Dein Vater meint, du sollst auf dich aufpassen.“
„Mach ich, Mama!“, antwortete Andrea. „Und was meinst du?“
„Ich bin da ganz anderer Meinung. Ich finde, du solltest so schnell wie möglich heimkommen. Aber wer hört schon auf eine alte Frau.“ Sie seufzte laut, womit sie gerne ihre Kapitulation dokumentierte. „Also gut, ruf mich jeden Tag an. Nur damit ich weiß, dass du noch lebst.“
„Mama, Silke wurde getötet. Das bedeutet nicht, dass ich in Gefahr bin“, behauptete Andrea, ohne selbst davon überzeugt zu sein.
„Wie geht es ihren Eltern?“ Ihre Mutter hatte offensichtlich keine Lust mehr, über ihr geplantes Vorhaben, in Wien zu bleiben, zu sprechen.
„Nicht gut.“ Der Gedanke an die Königs stimmte sie traurig. „Ich habe sie gestern besucht. Die beiden sehen schrecklich aus. Ich habe Angst, dass sie den Tod Silkes nicht überleben werden. Und das meine ich so, wie ich es sage.“
„Ich würde es nicht überleben“, sagte ihre Mutter leise. Sie war Spezialistin im Schlechtes-Gewissen-Machen.
„Ich pass auf mich auf, versprochen! Ich hab dich lieb.“
„Ich dich auch.“
Sie legten zeitgleich auf.
Andrea verspürte keine Lust mehr, Silkes Sachen zu verpacken. Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, dass es noch früher Vormittag war. Wenn sie sich beeilte, konnte sie den Termin bei der BELLA Film schaffen, den sie
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