Tödliche SMS (German Edition)
überlegte Andrea, welchen Feiertag er meinte. Aber dann fiel ihr ein, dass am nächsten Tag der 1. November, Allerheiligen, war. Ein Tag, an dem halb Österreich auf dem Friedhof stehen würde, nur sie nicht. Denn der einzige Mensch, den sie in Wien in Zukunft an diesem unwirklichen Ort besuchen konnte, lag auf einer Metallbahre inder Gerichtsmedizin. Sie nahm sich vor, eine Kerze für Silke anzuzünden.
„Worum geht’s?“, fragte sie so beiläufig wie möglich.
„Keine große Sache. Eine Kinowerbung für die Post, besser gesagt, einen Bereich der Post. Normalerweise machen wir bei solchen Drehs keine Fotos, aber unser Auftraggeber will unbedingt welche haben. Na ja, und wer zahlt, schafft ja bekanntlich auch an. Also was ist, bist du interessiert, aber mehr als achthundert kann ich dir nicht bieten.“
Mit so viel hatte Andrea für zwei Tage Arbeit nicht gerechnet. Eigentlich waren Filmproduzenten eher knausrig, was die Honorare von Fotografen anlangte. Sie vermutete, dass Gerhard Mann dem Kunden noch mehr abknöpfte und die Zwischensumme selbst einsteckte. Aber plötzlich war ihr das egal.
Vielleicht würde ihr ein bisschen Arbeit guttun und sie ablenken. Und zwei Tage Setluft zu schnuppern, war eine willkommene Abwechslung.
So viel zu knallharten Honorarverhandlungen.
„Wer macht die Ausarbeitungen? Ich hab zwar meine Kameras dabei, aber nicht die Möglichkeit, eine Dunkelkammer aufzutreiben.“ Sie machte ihre Ausarbeitungen am liebsten selbst. Vor allem Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Ihnen gehörte ihre ganze Liebe.
Der Produktionsleiter zog die oberste Lade seines Schreibtischs auf, entnahm ihr eine Visitenkarte und schob sie über den Tisch. „Die arbeiten eigentlich alle unsere Fotos aus. Brauchst nur den Film abzugeben. Ich hoffe, du arbeitest auch digital.“
„Beides. Digital und Film.“
„Okay, dann gib bitte den Film dort ab.“ Er tippte auf die Visitenkarte. „Sag, dass du von uns kommst. Die Rechnung geht dann direkt an unsere Buchhaltung. Die CD mit den digitalen Aufnahmen kannst du bei mir im Büro abgeben.“
Er griff zum Telefon, wählte eine Nummer und sagte kurz darauf: „Kommst du mal!“ Dann legte er wieder auf.
„Warum macht die Post Werbung im Kino?“, fragte Andrea, während sie warteten.
„Geht um irgendeinen Service … Versendungen von Paketen, da kannst du dir eine SMS schicken lassen, wenn dein Paket angekommen ist, und musst nicht mehr zu Hause rumsitzen und auf den gelben Wagen warten.“
„Kenn ich“, sagte Andrea. „Das nennt sich, glaube ich, Absender- und Empfänger-Info. Funktioniert aber nur bei EMS-Sendungen und wenn ich Kunde eines Versandhauses bin. Hab mal einen Zeitungsartikel darüber gelesen. Aber gibt es das nicht schon längere Zeit?“
„Ja, seit über zwei Jahren. Wird wahrscheinlich noch nicht gut genug angenommen, deshalb schießen sie jetzt einen Werbetrailer nach. Na, uns kann’s recht sein. Wir leben davon.“
Die Tür ging auf und herein schwebte die blonde Empfangsdame vom Sonntag. „Das ist Monika, unsere Produktionssekretärin. Sie wird dich mit der Dispo vertraut machen.“
Die beiden Frauen gaben sich die Hand.
„Wie geht es dir? Furchtbare Sache, wie?“, sagte Monika freundlich.
„Ja, schrecklich“, pflichtete ihr Andrea bei.
„Andrea ist unsere neue Setfotografin. Sie springt für Eva ein, beim Postdreh. Mach sie bitte mit der Dispo und allen anderen wichtigen Details bekannt“, sagte Gerhard Mann. Dann widmete er sich erneut seinem klingelnden Telefon.
Die beiden Frauen bedachten ihn mit einem Kopfnicken, dann verließen sie sein Büro.
Das von Monika war nur wenige Schritte weiter den Korridor entlang. Auf dem Weg dorthin verschwand die Produktionssekretärin kurz in einer Kochnische, holte, ohne Andrea zu fragen, zwei Häferln mit frischem Kaffee.
Kaum hatte es sich Andrea mit der Tasse in der Hand auf dem Besucherstuhl gemütlich gemacht, fragte sie vorsichtig. „Hast du Silke König schon mal getroffen? Am Flur oder so?“
Monika dachte einige Sekunden nach, bis sie sich erinnerte, dass das der Name der Ermordeten war. „Das hat mich die Polizei auch schon gefragt. Aber ich kann mich nicht erinnern, sie jemals gesehen zu haben. Aber du weißt ja, wie das in einer Großstadt ist. Man sieht jemanden im Vorbeigehen und zehn Sekunden später hat man ihn schon wieder vergessen.“
„Ja, wahrscheinlich.“ Andrea dachte an die vielen Wohnhäuser in Wien. Menschen lebten dort jahrelang nebeneinander, aber
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