Tödliche SMS (German Edition)
Fotos zerrissen und damit jahrelange Arbeit zerstört. Aber all das tat sie nicht, konnte es aufgrund ihrer Fesseln nicht tun.
Sie lag einfach nur da und starrte das Monster fassungslos an. Sie war benommen, atmete schwer und zitterte am ganzen Leib, während sie vor ihm auf dem Tisch lag, wie ein Opferlamm.
Sie hatte geglaubt, sie würde sich besser fühlen, jetzt, da sie die Wahrheit kannte. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Jetzt, da sie das Geheimnis ihrer Freundin kannte, fühlte sie sich schlecht. Sie wusste, welche Ängste Silke durchgestanden hatte. Es waren dieselben, die sie jahrelang hatte durchstehen müssen. Und sie konnte sie nicht mehr fragen, warum sie ihr nichts von Kogler erzählt hatte, nicht darauf vertraut hatte, dass Andrea die Sache mit Chris verarbeitet hatte. Ihr Peiniger ihr nichts mehr anhaben konnte. Vielleicht wäre dann all das hier nicht passiert.
Die Gesichter von Maria und Walter König blitzten vor ihrem inneren Auge auf. Dann das ihrer Mutter. Ihr letztes Telefonat fiel ihr ein. Ihre Mutter hatte sie gebeten, aufzupassen und sich regelmäßig zu melden. Sie hatte sie beruhigt. Und jetzt würden ihre Eltern nach Wien reisen müssen, um – wie zuvor die Königs – ihre Tochter in der Gerichtsmedizin, auf einer Metallbahre liegend, zu identifizieren. Vielleicht würde sie neben Silke begraben werden. Ihre letzte gemeinsame Wohnung, tief unter der Erde.
Eine Woche lang hatte sie Alpträume gehabt, von diesem Monster und Silke. Immer wieder war sie schweißgebadet hochgeschreckt.
Und jetzt würde er sie töten.
Stumm band sich Kogler den Mundschutz um, legte den Fußboden rund um den Tisch mit Plastikfolie aus. Es war so weit. Nach besten Kräften versuchte Andrea die Angst zu verdrängen, die ihr über den Rücken kroch. Das Messer lag noch immer neben der Sachertorte mit dem Marzipanpärchen darauf.
Der Geruch Wiens.
Kogler drehte sich herum, holte es, wischte es sorgfältig mit einem Zipfel seines Operationskittels ab.
Die Klinge des Messers drückte sich gegen Andreas Hals. Mit aller Kraft verdrängte sie den Anflug von Panik.
Nichts ist gewisser als der Tod, nichts ungewisser als seine Stunde.
Wieder betete sie, dass es schnell vorbei sein möge.
Er hatte sein Gesicht ganz nah bei ihrem.
Sie roch seinen Atem.
Sachertorte und Marzipan.
Seine Augen waren die eines Wahnsinnigen, getrieben von Lust und Schmerz. Es war, als wäre er plötzlich in einer anderen Welt, weit weg von hier.
Das Messer ruhte optimal am linken Halsrand auf der Hauptschlagader. Kogler wartete reglos, schaute auf seine Armbanduhr, zählte langsam, nahezu sadistisch langsam herunter, wie zu Silvester, der Countdown, bevor die Sektkorken knallten und in Wien die Pummerin das neue Jahr einläutete. Es war fünf Minuten vor ein Uhr.
In Gedanken begann sie ihr gemeinsames Lied zu singen.
Somewhere over the rainbow
Way up high,
There’s a land that I heard of
Once in a lullaby.
Sie schloss die Augen im Bewusstsein, dass sie bald sterben würde, auch wenn sie nicht bereit war dazu. Aber was machte das schon für einen Unterschied.
Sie würde noch mitbekommen, wenn die Klinge in den Hals stach und er sie von einem Ohr zum anderen durchzog, dann würde sie hoffentlich eine tiefe Ohnmacht von allem anderen befreien.
Das Bild der toten Silke tauchte in ihrem Inneren auf: Blut.
Rot war ihre Lieblingsfarbe gewesen.
… nichts ist gewisser als der Tod, nichts ungewisser als seine Stunde.
21.
Ein lauter Knall. Das Geräusch passte nicht zu der erdrückenden Stille im Raum, sie traute sich aber nicht, die Augen zu öffnen.
Hatte er schon zugestochen? War sie etwa schon tot?
In Erwartung schrecklicher Bilder riss sie die Augen auf.
Staub, Nebel, schnelle Schritte, Schatten, Stimmen.
„Aufpassen, nach links halten und schnell reagieren. Mit etwas Glück erwischen wir den Kerl.“
„Fertig … los …“
Remo Bauer war bei den ersten Polizisten im Atelier dabei, seine Dienstwaffe im Anschlag.
„Halt! Lassen Sie das Messer fallen! Sofort!“
Michael Kogler rührte sich nicht, machte aber auch keine Anstalten, das Messer zu entfernen.
Aus den Augenwinkeln nahm Andrea eine Bewegung wahr, spürte, wie sich die Messerspitze in ihren Hals bohrte, der glühende Schmerz war unerträglich.
Sie versuchte zu schreien. Aber das Klebeband ließ keinen Laut nach außen dringen. Lautes Geschrei drang an ihr Ohr, sie konnte wieder nur Stimmen wahrnehmen, aber nicht zuordnen. Sie hatte keine Ahnung, was
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