Tödliche Täuschung
Funke von Scham oder gar Unbehagen.
Der Richter blinzelte.
Ein oder zwei Geschworene sahen einander an.
Sacheveralls Gesichtsfarbe wurde eine Spur dunkler, als sei ihm bewusst geworden, dass er ein wenig zu weit gegangen war. Zum ersten Mal hatte er die Sympathie der Geschworenen verloren. Aber er war nicht bereit, einen Rückzieher zu machen.
»Es gibt viele Gründe für einen Mann, vor der Ehe zurückzuschrecken«, sagte er ziemlich laut. »Gründe, die er anderen gegenüber nicht freiwillig eingestehen würde. Ich erhebe keine Anschuldigungen, das möchte ich an dieser Stelle deutlich hervorheben; ich spreche ganz allgemein. Er könnte zum Beispiel von einer Krankheit wissen, die ihn oder gar seine ganze Familie betrifft.« Er machte eine weit ausholende Geste, von der Rathbone inzwischen wusste, dass sie typisch für ihn war. »Es könnte sich um eine Neigung zum Wahnsinn handeln. Er könnte auch Schulden gemacht haben, die zu begleichen er nicht im Stande ist, sodass es ihm nicht möglich wäre, eine Frau zu ernähren. Möglich auch, dass er Gefahr läuft, wegen irgendeines Gesetzesverstoßes angeklagt zu werden. Er könnte zum Beispiel auch bereits verheiratet sein!«
Unruhe breitete sich auf der Galerie aus, als die Leute miteinander zu tuscheln begannen.
»Ruhe!«, befahl Richter McKeever, und seine Stimme war für einen so zurückhaltenden Mann überraschend durchdringend.
»Ruhe, oder ich werde den Saal räumen lassen!« Seinem Befehl wurde prompt Folge geleistet.
»Oder er könnte außer Stande sein, die Vereinigung zu vollziehen«, beendete Sacheverall seine Ausführungen.
Einer der Geschworenen, ein älterer Mann mit dichtem, weißem Haar, schnalzte mit der Zunge und schüttelte missbilligend den Kopf. Die Bemerkung schien ihm offensichtlich von überaus schlechtem Geschmack zu zeugen. Ein Gentleman sprach nicht von solchen Dingen.
Wieder blickte Rathbone zu Melville hinüber und sah nur Belustigung in seinen leuchtenden, meerblauen Augen.
»Selbstverständlich«, antwortete Rathbone mit ebenso durchdringender Stimme. »Und es könnte viele Gründe geben, warum ein Mann es ablehnen mag, eine ganz bestimmte Dame zu ehelichen, Gründe, von denen viele zu unerfreulich und abstoßend sind, um sie auch nur anzudeuten; daher werde ich das auch nicht tun.« Er sah aus den Augenwinkeln, wie einer der Geschworenen nickte. »Es widerstrebt mir zuzulassen, dass diese ohnehin schon traurige Situation auf ein solches Niveau herabsinkt«, fügte er hinzu.
McKeever lächelte melancholisch. Er hatte zu viele Zivilfälle verhandelt, um noch derartige Hoffnungen zu hegen.
»Davon bin ich überzeugt«, pflichtete Sacheverall ihm sarkastisch bei. »Und ich möchte behaupten, dass es Ihrem Mandanten noch mehr widerstrebt. Aber er hätte daran denken müssen, bevor er Miss Lambert demütigte und beleidigte und so leichtfertig mit ihrer Zuneigung spielte. Jetzt ist es zu spät für derlei Bedauern und erst recht für die Angst davor, welche Auswirkungen das alles auf seinen eigenen Ruf haben wird.«
Der mehr als dürftige Vorteil entglitt ihnen bereits wieder. Gott sei Dank war es Freitag, und Rathbone hatte zwei Tage Zeit, um Melville weiter zu bedrängen, ihm die Wahrheit zu sagen. Wenn er es nicht tat, dann wusste er keine Strategie, mit der sich eine Niederlage vermeiden ließ. Vielleicht war Melville nicht klar gewesen, welchen Schaden er selbst nehmen würde, nicht nur in finanzieller, sondern auch in beruflicher Hinsicht. Barton Lambert würde ihn in Zukunft gewiss nicht mehr unterstützen oder ihm Aufträge geben. Er war ein einflussreicher Mann. Gut möglich, dass Melvilles gesamte Karriere gefährdet war, ungeachtet seiner hervorragenden Fähigkeiten.
Rathbone zwang sich zu lächeln und Sacheverall anzusehen.
»Es ist noch nicht vorbei«, sagte er mit unendlich mehr Zuversicht, als er wirklich empfand. »Lassen Sie uns den Abschluss der Verhandlung abwarten, bevor wir uns fragen, welcher Schaden angerichtet wurde und wer ihn erlitten hat. Ich möchte niemanden verletzen, aber ich werde die Interessen meines Mandanten mit allem mir zu Gebote stehendem Nachdruck vertreten.«
»Das versteht sich von selbst.« Sacheverall ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er hatte seine Fassung wieder gewonnen und wusste, dass er wenig zu befürchten hatte. Der Sieg war zum Greifen nahe. »Nichts Geringeres hätte man von Ihnen erwartet«, fügte er hinzu.
Er rief noch einen weiteren Zeugen auf, dann vertagte sich
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