Tödliche Täuschung
schützen kann. Sie ist das Werkzeug eines Feiglings, und wie die meisten Menschen habe ich nur Verachtung für dergleichen übrig.« Er blickte in Wolff s Gesicht mit den leuchtenden Augen und dem empfindsamen Mund. »Aber wie ich Mr. Sacheverall bereits erklärt habe, ist es eine Waffe, die beinahe in jede Hand passt, in meine ebenso gut wie in seine , wenn es sich nicht vermeiden lässt.«
»In Ihre Hand?« Wolff sah ihn überrascht an. Er war stehen geblieben, mit dem Rücken zum Fenster, sodass das Licht seine Silhouette nachzeichnete. »Wen könnten Sie verleumden, und was würde es nützen? Würde ein solches Vorgehen Melville nicht in einem sehr schlechten Licht erscheinen lassen?«
»Ja, wahrscheinlich. Und es ist vorstellbar, dass er sich ohnehin weigern würde, etwas dergleichen zu tun«, erwiderte Rathbone. »Aber das weiß Sacheverall nicht, noch würde er es wagen sich darauf zu verlassen. Er kann sich nicht sicher sein, ob Melville nicht, wenn er den Ruin vor Augen hat, seine bisherige Ehrenhaftigkeit aufgibt und zuschlägt.«
»Das würde er nicht tun«, sagte Wolff schlicht. In seinen Worten lag nicht der Hauch eines Zweifels.
»Ich glaube Ihnen«, antwortete Rathbone, und er meinte es ernst. Es überraschte ihn, wie felsenfest er selbst davon überzeugt war, dass Melville eher seiner eigenen Vernichtung ins Auge sehen würde, als so tief zu sinken, Lügen über Zillah Lambert zu verbreiten. Sein Verhalten in dieser Angelegenheit war eine Abfolge von Handlungen, die keiner offenkundigen Logik folgten. Rathbone war sich einmal mehr darüber im Klaren, dass es da irgendetwas gab, von dem er nichts wusste, das aber alles erklären würde.
Wolff entspannte sich kaum merklich. Er wartete darauf, dass Rathbone weitersprach.
»Sacheverall setzt das Wohlergehen seiner Mandantin wie auch sein eigenes aufs Spiel, deshalb muss er absolut sicher sein.« Rathbone schlug die Beine übereina nder und lächelte Wolff an, um dem anderen das Gefühl zu geben, dass sie gemeinsam gegen ein Vorurteil kämpften, gegen Auffassungen, die sie beide zutiefst verachteten, aber das Thema war zu heikel, als dass man es in Worte hätte fassen können. »Und er ahnt oder weiß vielleicht auch, dass Melville nicht mit einem Gegenangriff reagieren würde, aber er ist sich eben nicht sicher.
Auch ich werde im Interesse meines Mandanten handeln und ihn nicht unbedingt vorher um seine Erlaubnis bitten.«
»Würden Sie so etwas wirklich tun?«, fragte Wolff.
»Ich weiß es nicht.« Rathbone lachte in sich hinein. Es war die Wahrheit; er wusste nicht, was er tatsächlich enthüllen würde, falls Monk irgendetwas herausfinden sollte. Eines wusste er allerdings ohne jeden Zweifel: Er würde Monk antreiben, alles herauszufinden, was es zu wissen gab: über Zillah Lambert, über ihren Vater, ihre Mutter und alles andere, was möglicherweise mit dem Fall zu tun haben könnte. »Ich habe keine Ahnung, ob da etwas ist, aber Sacheverall weiß es ebenso wenig.«
Wolff stieß langsam den Atem aus.
»Aber ich muss herausbekommen, was die anderen über Melville in Erfahrung bringen können«, fuhr Rathbone widerstrebend fort. »Nicht, was wahr ist oder unwahr…. sondern, welche Zeugen er aufruft, und was sie möglicherweise sagen werden?«
Wolff versteifte sich wieder, und seine Stimme klang unnatürlich ruhig. »Dass Melville und ich Freunde sind«, erwiderte er, ohne den Blick abzuwenden. »Dass er mich hier besucht hat, manchmal tagsüber, manchmal abends.«
»Ist er auc h über Nacht geblieben?«
»Nein.«
Rathbone war sich nicht sicher, ob er tatsächlich ein Zögern in der Antwort gehört hatte oder ob es Einbildung gewesen war, denn sobald jemand ein bestimmter Gedanke nahe gebracht wurde, neigte er dazu, sich davon beeinflussen zu lassen.
»War da sonst noch etwas?«, fragte Rathbone. »Bitte sagen Sie die Wahrheit, Mr. Wolff. Ich kann weder Melville noch Sie vor etwas schützen, von dem ich nichts weiß.«
Aber Wolff war genauso halsstarrig wie Melville. Er sah ihn mit dem gleichen ausdruckslosen Blick an und leugnete es abermals.
»Wie lange kennen Sie Melville schon?«, hakte Rathbone nach.
Wolff dachte einen Augenblick nach. »Etwa zwölf Jahre , vielleicht noch nicht ganz.«
»Wissen Sie, warum er seine Meinung in Bezug auf eine Ehe mit Miss Lambert geändert hat?«
Wolff stand immer noch mit dem Rücken zum Fenster, aber das Licht fiel auf sein Profil, und Rathbone konnte sein Mienenspiel verfolgen. Sein
Weitere Kostenlose Bücher