Tödliche Täuschung
und durch reizvolle und begehrenswerte junge Dame ist, eine wunderbare Braut für jeden Mann«, sagte Rathbone wahrheitsgemäß. »Er möchte sie nur nicht selbst heiraten. Seine Gründe gehen niemanden sonst etwas an. Vielleicht gehören Miss Lamberts Gefühle einem anderen, aber sie kann es sich nicht leisten, das einzugestehen - falls der Gentleman unpassend sein sollte oder gar verheiratet.«
»Das ist nicht wahr!«, rief Sacheverall sofort und mit großer Erregung.
»Wahrscheinlich«, pflichtete Rathbone ihm bei. Er stand mittlerweile an der Tür. »Ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass die Möglichkeiten vielfältig sind und keine davon das Gesetz oder die allgemeine Öffentlichkeit etwas angehen muss. Beraten Sie sich mit Ihren Mandanten und lassen Sie mich das Ergebnis wissen.« Und bevor Sacheverall noch irgendwelche Einwände erheben konnte, verließ Rathbone den Raum und zog die Tür hinter sich zu, wobei er überrascht feststellte, dass seine Hände feucht waren und seine Kehle wie zugeschnürt.
Wie der Zufall es wollte, wurde die Verhandlung während der nächsten zwei Tage nicht fortgesetzt, und Rathbone nutzte die Zeit. Als Erstes suchte er Isaac Wolff auf, dessen Adresse er von Melville erhalten hatte. Er wusste nicht, was er sich von dieser Begegnung erhoffte. Vielleicht lauerte irgendwo in seinen Gedanken die Angst, dass Sacheverall Recht haben könnte und ein Besuch bei Wolff diesen Verdacht bestätigen würde.
Als er die Wakefield Street gleich hinter dem Regent Square entlangging und nach der richtigen Hausnummer Ausschau hielt, wurde ihm klar, wie wenig Konkretes er über Killian Melville wusste. Er kannte den Mann überhaupt nicht. Er spürte lediglich ein tiefes Gefühl in dem anderen Mann. Die Liebe zu seiner Kunst war echt. Man brauchte sich nur die Arbeit selbst anzusehen. Die Schönheit, die seine Bauwerke ausstrahlten, sagten mehr über das Wesen dieses Mannes, über seine Träume und seine Wertvorstellungen, als er es jemals mit Worten vermocht hätte.
Aber da war dennoch etwas schwer Fassbares in ihm, etwas, das er sorgfältig verborgen hielt. Darüber hatte er sich noch kein Urteil bilden können.
Er kam zu dem Haus, in dem Wolff wohnte, und betätigte den Glockenzug an der Tür. Ein Lakai ließ ihn ein und führte ihn die Treppe hinauf in eine sehr geschmackvolle Halle, von der einige Wohnungen abzweigten, die die gesamte Front des Hauses einnahmen.
Isaac Wolff bat ihn herein und führte ihn in ein Wohnzimmer mit Blick auf die Straße, aber die Vorhänge vor den Fenstern waren dick genug, um keine neugierigen Blicke von außen eindringen zu lassen. Es war eine altmodische Wohnung, die zwar nichts von der Eleganz und Phantasie von Killian Melvilles Architektur besaß, aber dennoch außerordentlich behaglich wirkte. Die Möbel waren dunkel und schwer und die Wände von Bücherregalen gesäumt, obwohl Rathbone keine Zeit hatte festzustellen, welchen Themen sie gewidmet waren.
Wolff sah ihn unverwandt an. Sein Blick war nicht unfreundlich, aber wachsam. Er rechnete mit einem Angriff.
Rathbone fragte sich, ob ihm dergleichen schon früher begegnet war - Argwohn, Anschuldigungen, Andeutungen.
»Guten Tag, Mr. Wolff.« Rathbone hörte den entschuldigenden Unterton in seiner eigenen Stimme. Sein Besuch war eine Störung, die dem Mann verhasst sein musste.
»Es tut mir Leid, aber ich muss vor der morgigen Beweisaufnahme mit Ihnen reden. Ich habe mich bereits mit Mr. Sacheverall beraten, und es ist möglich, dass er Mr. Lambert dazu überreden kann, die Sache außergerichtlich beizulegen, aber das ist nur eine winzige Hoffnung, und wir können uns nicht darauf verlassen.«
Wolff holte lautlos Luft. Der Anflug eines Lächelns huschte über seine Lippen.
»Sie müssen äußerst tüchtig sein, Sir Oliver. Was um alles in der Welt haben Sie ihm gesagt, dass er eine gütliche Einigung auch nur in Betracht zieht? Er scheint den Sieg doch in der Tasche zu haben. Was er sagt, stimmt zwar nicht, aber ich habe keine Möglichkeit, meine Behauptung zu beweisen.«
»Niemand kann solche Dinge je beweisen«, pflichtete Rathbone ihm bei. Er ging ein oder zwei Schritte in den Raum hinein und setzte sich dann auf den Stuhl, auf den Wolff gewiesen hatte. »Das ist das Wesen der Verleumdung. Sie funktioniert mit Hilfe von Andeutungen, Vorurteilen und der Phantasie und zielt auf die hässlichste Seite der menschlichen Natur ab, tut das aber auf so raffinierte Weise, dass man sich nicht davor
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