Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Bindung. Vielleicht würde ihn das ja überfordern. Ach, Nadine«, Julia stieß einen tiefen Seufzer aus, »da spielen sich viel zu viele Dinge in meinem Kopf ab, mit denen ich mich gar nicht auseinandersetzen will. Jede Antwort wirft ein Dutzend neuer Fragen auf, dabei ist es, wenn ich in München bin, so ungezwungen, so frei, ganz anders, als wenn ich hier alleine unter meine Decke krieche.«
»Genügt es dir denn?«
»Ich glaube schon. Zu viel Nähe jedenfalls könnte ich nicht ertragen«, gestand Julia ein. »Das dürfte mir von meiner Entführung wohl doch noch eine Weile nachhängen. Andererseits bin ich für ein Klosterleben nicht gemacht, mal ganz im Vertrauen«, zwinkerte sie. »Aber das diskutiere ich sicher nicht auf dem Präsidium, und schon gar nicht mit deinem Mann.«
»Brauchst du auch nicht«, lächelte Nadine. »Aber wenn du im Vertrauen reden möchtest, dann melde dich. Und wenn es für deinen Claus in Ordnung ist, so wie es derzeit läuft, behaltet es einfach bei. Die Fragen kommen von ganz alleine, aber man muss nicht jede von ihnen sofort abhaken. Genießt eure Zeit und, wenn ich das mal so offen fragen darf, wie alt ist Claus? Älter als du?«
Julia nickte, und Nadine fuhr fort: »Na bitte. Es ist ja nicht mehr so, dass er noch dreißig Dienstjahre und zig Beförderungen vor sich hat. Die Zeit ist nicht unbedingt euer Gegner, ich drücke dir jedenfalls fest die Daumen. Weiß Gott, du hast dir jemanden verdient, mehr als manch anderer.«
»Danke«, erwiderte Julia und stocherte verlegen in ihrem Obstsalat herum. Hellmer kehrte mit einem dampfenden Kännchen zurück und brachte einen angenehmen Kaffeeduft mit in den Raum. Nadine und Julia tauschten einen vielsagenden Blick, und sie entschieden sich, den Fall und alle Sorgen nun möglichst weit von sich zu schieben, denn der Abend war noch jung. Bis tief in die Nacht redeten sie über Gott und die Welt, dazu tranken die beiden Frauen zwei Flaschen Wein, und es flackerten ein halbes Dutzend Kerzen. Als Julia Durant lange nach Mitternacht ins Gästebett kroch, fühlte sie sich warm, behaglich, und sie wusste, dass sie nicht alleine war, auch wenn ihr die unaufdringliche Nähe von Claus Hochgräbe in diesem Augenblick schmerzlich fehlte. Sie gestand sich das nur ungern ein, aber es hatte keinen Zweck, denn der Alkohol förderte die Wahrheit zutage.
Samstag
Samstag, 8. Januar 2011, 9.10 Uhr
E s dauerte einige Sekunden, bis Julia Durant das hämmernde Pochen zuordnen konnte. Sie blinzelte, doch um sie herum war es stockdunkel, bis auf einen schmalen Lichtstrahl, den sie jenseits des Fußendes erkennen konnte. Sie schüttelte den Kopf, was keine gute Idee war, denn sofort spürte sie einen dumpfen Schmerz. Nur langsam dämmerte, dass sie sich nicht in ihrem eigenen Zimmer befand, sondern in einem bequemen, aber ungewohnten Gästebett in Hattersheim-Okriftel.
»Jaaa?«, fragte sie gedehnt, und kaum dass sie gesprochen hatte, öffnete sich auch schon die Tür einen Spaltbreit.
»Kommst du frühstücken oder willst du den lieben langen Tag pennen?«, vernahm sie Hellmers Stimme, der den Kopf nicht hereinsteckte und zum Glück auch kein Licht anschaltete. »Falls ja, dann fahre ich mit meiner besseren Hälfte ins Main-Taunus-Zentrum, und wir pfeifen aufs Präsidium. Also such’s dir aus. Aber egal, wie du dich entscheidest, in fünf Minuten sind Rührei und Bacon fertig.«
»Igitt, ich krieg keinen Bissen runter«, erwiderte Julia, deren Zunge pelzig war; dazu kam ein unangenehmer Geschmack im Mund. »Aber einen Pott Kaffee kannst du mir schon bereitstellen«, rief sie dann, »und zwei Aspirin. Ich bin gleich unten.«
Hellmer lachte leise, dann entfernten sich seine Schritte. Wenigstens einer, der fit ist, dachte Julia und versuchte sich zu erinnern, was außer dem schweren Wein ihr so zu schaffen machte. Ein Sekt zur Begrüßung, ein Schnaps nach dem Essen, nun, sie hatte sich nicht gerade zurückgehalten. Du wirst alt, Liebes, klare Sache, stellte sie wenig später fest, als sie im Bad vor dem Spiegel stand und ihre Haare bürstete. Sie putzte sich die Zähne, was sie nur ungern vor dem Frühstück tat, weil der Milchkaffee dadurch einen ekligen Geschmack bekam. Aber mit einer Zunge wie eine Schuhsohle wollte sie nicht bei Nadine und Frank aufkreuzen, die wahrscheinlich beide taufrisch am Frühstückstisch saßen. Julia trottete zurück ins Zimmer, öffnete den Rollladen, kippte das Fenster und sah nach draußen. Ein klarer Morgen, über
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