Tödlicher Applaus
Auszeit, meilenweit entfernt von allen Problemen, die ihn in den vergangenen Tagen von einem Rückzugsgefecht ins nächste getrieben hatten. Seliges Vergessen. Ob es Anna so ging? Er verdrängte den Gedanken, doch er kam wieder, und schließlich sah er sie vor seinem inneren Auge noch einmal die Treppe hinabstürzen. Es war lange her, dass er sie zuletzt gesehen hatte. Damals war er erleichtert gewesen, dass Michael Steen darauf bestanden hatte, die Pflege zu übernehmen.
Es hatte in Kamarovs Leben nicht viele Frauen gegeben. Auf einer tieferen Ebene hatten Anna und Gina ihn nie losgelassen und es ihm unmöglich gemacht, sich zu binden. Ob aus schlechtem Gewissen für die Art, wie er sie behandelt hatte, oder aus einer seltsamen, nie ganz verloschenen Liebe heraus, wusste er nicht zu sagen. Er hatte aber auch keine Zeit darauf verwendet, dieser Frage nachzugehen, sondern sein Leben einem einzigen Ziel gewidmet: Reichtum. Er wollte reicher sein als alle anderen. Wollte berühmt sein, ja nicht einfach nur prominent, sondern auf Augenhöhe mit den ganz Großen, in der Weltliga. Allen menschlichen Trivialitäten entrückt. Und er hatte es geschafft. Er war auf diesem Niveau gewesen. Und dort befände er sich noch immer, hätte er nicht in die unglückselige Aktienspekulation eingewilligt. Er war bei seinem Höhenflug der Sonne zu nahe gekommen. Hatte sich wie Ikarus die Flügel verbrannt.
»Sie müssen zur Beobachtung noch über Nacht hierbleiben. Vielleicht auch noch den morgigen Tag.«
Victor nickte vorsichtig, als der Arzt ging. Er blieb auf dem Rücken liegen und starrte benommen aus dem Dachfenster über sich. Er konnte den Himmel erkennen, der langsam dunkel wurde, und die ersten Sterne, die in der tiefblauen Unendlichkeit aufblitzten. Immer wenn in seinem Leben die entscheidenden Weichen gestellt worden waren, hatte der Himmel so ausgesehen: angefangen bei der Begegnung mit Gina bis hin zum Mord an James. Er musste etwas unternehmen. Er konnte nicht hierbleiben, sondern musste sein Leben wieder in die richtigen Bahnen leiten.
Die Schmerzen bohrten sich wie Laserschwerter in seinen Kopf, als er sich im Bett aufrichtete. Bei jeder Bewegung presste der Schmerz sein Hirn zusammen. Ihm wurde übel, und sein Magen rumorte.
Er saß still da und wartete darauf, dass die Schmerzen nachließen. Dann trat er einen Schritt auf den Schrank zu, in dem seine Kleider hingen. Eine halbe Stunde später war er fertig angezogen. Zitternd setzte er sich aufs Bett und wartete darauf, dass er zur Ruhe kam. Dann trotzte er den Schmerzen, stand auf, ging zum Spiegel und rückte den Schlips zurecht, bevor er sein Spiegelbild anlächelte und auf den Flur trat. Zwei Minuten später nahm er sich vor dem Haupteingang ein Taxi.
In der Klemme
Tom wusste, dass Rudi recht hatte. Wenn die Leute herausfanden, wer er war, hatte er keine Chance. Sie würden ihn ergreifen und ins Gefängnis stecken, während Rudi sich mit den Beweisen absetzte.
Sie erreichten das Auto, das in der kleinen Stichstraße parkte. Nachdem Rudi sich vergewissert hatte, dass keine Menschenseele zu sehen war, öffnete er den Kofferraum, packte Tom am Nacken und stieß ihn hinein. Tom war zu schwach, um sich zur Wehr zu setzen, und kauerte sich in der Enge zusammen. Die Klappe schlug zu. Kurze Zeit später setzte sich der Wagen in Bewegung.
Cathrine Price beschloss, dass sie lange genug gewartet hatte. Sie stieg aus dem Leihwagen und ging zur Nr. 7.
Die Frau hinter dem Tresen telefonierte, als Cathrine die kleine, ausgesprochen elegante Rezeption betrat. Sie marschierte auf die Theke zu und lehnte sich auffordernd an die Mahagoniplatte, um die Aufmerksamkeit der Empfangsdame auf sich zu lenken, aber die Frau drehte Cathrine den Rücken zu und telefonierte weiter.
»Gnädige Frau?«
Die Stimme hinter ihr klang gedämpft und höflich. Irgendwie bekannt, dachte Cathrine und wandte sich um. »Oh, Herr Ma …?«
»Schhh! In diesem Hotel werden die Gäste grundsätzlich nicht bei ihrem richtigen Namen genannt.« Rudi legte einen Finger an die Lippen. »Hier residieren die Geliebten der Stars. Folgen Sie mir?« Er zwinkerte Cathrine aufmunternd zu.
Cathrine merkte, dass sie rot wurde. Idiotisch, dachte sie und suchte nach einer guten Erklärung für ihre Anwesenheit. »Das Hotel, in dem ich wohne, wird gerade renoviert. Da hat mir jemand dieses kleine …«
»… Liebesnest empfohlen? Einer unserer Dirigenten wohnt hier, und es ist meine Aufgabe, mich zu
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