Tödlicher Applaus
Fall dürften Sie es heute bis zum Professor gebracht haben.«
Tom gab ihm ein extra Trinkgeld für diese Antwort. Vermutlich das letzte nette Gespräch in meinem Leben, dachte er. Seine Uhr zeigte 19:15. Zeit, in die Oper zu gehen.
Die kühle Abendluft holte ihn zurück in die Wirklichkeit und löschte die Distanz zu dem, was nun vor ihm lag. Angst und Nervosität überfielen ihn massiv, und auf der kurzen Strecke vom Café bis zur Oper kam es ihm so vor, als würde er mutterseelenallein einen ganzen Kontinent überqueren. Er fühlte sich grenzenlos einsam. Jeder Schritt brachte ihn dem Augenblick näher, in dem die ganze Welt den Mörder, Geiselnehmer und Terroristen Tom Hartmann kennenlernen würde. Er schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass sie keinen Fernseher in Cathrines Nähe aufgestellt hatten und dass weder seine Tochter noch seine Eltern und Schwiegereltern ihn so sehen mussten. In knapp einer Stunde würde kein Mensch auf dieser Welt mehr an seine Unschuld glauben. Wie in Trance setzte er seine Füße auf den roten Teppich.
Eine Horde Presseleute schoss auf ihn zu und an ihm vorbei. Hinter ihm war Österreichs großer Talkshow-Moderator Gerhard Schalke aufgetaucht. Er hüpfte, tänzelte und breitete die Arme aus, damit die Fotografen ein paar frische, lebhafte Bilder von ihm machen konnten. Eine Gruppe Hornbläser in Tirolertracht spielte Wiener Lieder, und Schalke grölte mit, so gut er konnte, mit wackeliger Stimme und einem Vibrato, das selbst einen abgehalfterten Wagner-Sänger vor Scham hätte erröten lassen. Tom Hartmann bewegte sich unbeachtet vorwärts.
Im Foyer unterzogen ihn routinierte Hände einer Leibesvisitation, ehe sie ihn weiterwinkten. Ein Sicherheitsbeamter um die dreißig mit schwellendem Bizeps kontrollierte ausgiebig seinen Presseausweis. Er schien das kleine bisschen Macht auszukosten, das er in diesem Augenblick innehatte. Er musterte Tom skeptisch. »Warten Sie«, sagte er.
Das war’s! Das Hemd klebte an Toms Rücken. Hatte er wirklich geglaubt, er könnte die Profis austricksen? Natürlich witterte der Wachmann, dass etwas nicht stimmte. Tom Hartmanns Blick verriet garantiert den seelischen Ausnahmezustand, in dem er sich befand.
»Joop van der Hagen?«
»Ja.« Toms Stimmbänder hörten sich an wie Wischerblätter auf einer trockenen Scheibe.
»Freelance? Für welche Zeitung schreiben Sie?«
Tom kannte sich mit südafrikanischen Zeitungen überhaupt nicht aus, öffnete aber den Mund, um seine Unsicherheit zu überspielen. »Ich schreibe für mehrere Zeitungen«, sagte er. »Aber heute Abend bin ich für die Cape …« Toms Stimmbänder versagten ihren Dienst. Er räusperte sich hektisch und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen.
»Cape Times?«
Tom setzte noch einen Huster nach, erleichtert über die Hilfe des Wachmanns. Dann nickte er.
Der Wachmann lächelte breit. »Ich war letztes Jahr in Kapstadt.« Er gab Tom den Presseausweis zurück und winkte ihn weiter.
Es war wie die ersten Schritte in Freiheit, dabei wünschte Tom sich eigentlich von ganzem Herzen, dass jemand ihn durchschaute und hinter ihm herkäme, um ihn festzunehmen. Stattdessen ging er unbehelligt weiter, Schritt für Schritt. Seine Wahrnehmung war von seiner Umgebung abgekoppelt, er befand sich in einer eigenen Dimension, in der es ganz still und dunkel war, trotz der klirrenden Champagnergläser, der funkelnden Diamanten und des fast schmerzhaften Geräuschpegels aus Smalltalk um ihn herum.
Tom fummelte seine Eintrittskarte aus der Tasche, und eine freundliche Dame in Uniform zeigte ihm, wie er zu seinem Platz kam. Parkett, achte Reihe. Er setzte sich und schob die Hand unter den Sitz. Bis zuletzt hatte er gehofft, nichts darunter vorzufinden und dass das alles nur ein Albtraum war, aus dem er bald aufwachen würde. Aber das Mobiltelefon war an seinem Platz, exakt dort, wo Hans Maier es ihm angegeben hatte.
Michael Steen schob Anna über den roten Teppich. Er hatte ihr ein tiefrotes Seidenkleid angezogen, das Haar war frisch gewaschen und auf große Lockenwickler gedreht worden. Jetzt fiel es in üppigen goldenen Wellen über den rot schimmernden Stoff. Zwei Wachmänner halfen, sie die Treppe hinaufzutragen. Für einen kurzen Moment bereute Michael Steen, sich dieser Strapaze ausgesetzt zu haben. Er sehnte sich nach der Stille der schwedischen Schären.
In diesem Augenblick hatte Victor Kamarov seinen Auftritt, dem feierlichen Anlass entsprechend in eine Smokingjacke aus
Weitere Kostenlose Bücher